Im Zug rauchen

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Ich sitze im Zug und werde Zeuge einer Unterhaltung, in der Raucher sehr schlecht wegkommen.

»Wir möchten den Herrn, der beim Aufenthalt in Hannover im Türbereich geraucht hat, darauf hinweisen, dass er beim nächsten Vergehen aus dem Zug entfernt wird«, tönt es aus dem Lautsprecher in unserem Waggon. Wir rasen gerade mit Tempo 240 durch das schwarze Niemandsland Ostwestfalens.

Raucher werden demnächst verhaftet

»Sie werden die Raucher demnächst verhaften«, flüstere ich zu mir selbst.
»Völlig zu Recht«, antwortet die Dicke auf der anderen Seite des Gangs, die gelauscht hat.
Sie hat sich von Spandau bis Bielefeld mit ihrer Bekannten – die strohblond und gertenschlank ist – nonstop übers Essen unterhalten. Ich kenne nun ein Dutzend neue Kochrezepte und weiß, wo man in Berlin, Hamburg und Münster preiswerte vegetarische Restaurants findet.

»Meinen Sie wirklich, dass man die Fahrgäste so behandeln soll?«, frage ich.
»Natürlich. Man kann gegen Raucher gar nicht streng genug vorgehen.« Sie nickt energisch mit dem Kopf, wobei ihr Doppelkinn im Takt der Gleisschwellen wackelt.

Ein junger, gutaussehender Mann mit Dreitagebart und zwei Dosen Bier in den Händen schlendert vorbei.
»Das war ich«, grinst er.
Die Dicke strahlt ihn an: »Alles halb so wild. Machen Sie sich deshalb keine Sorgen. Ich werde Sie nicht beim Schaffner verraten.«

Er beachtet sie gar nicht. Spaziert weiter zu seiner hübschen Freundin und gibt der einen Kuss. Meine Schräg-über-den-Gang-Nachbarin packt in ihre Tasche, fingert eine Tüte fettreduzierte Biochips heraus, die sie der Strohblonden anbietet.

Sie werden das Land in einen spaßbefreiten Friedhof verwandeln

Sie werden das Land in einen spaßbefreiten Friedhof verwandeln, überlege ich. Nach den Rauchern knöpfen sie sich die Laute-Musik-Hörer vor. Dann kommen die Fleischesser, Super-Benzin-Fahrer und Besucher von Boxkämpfen an die Reihe. Vor den Säufern schrecken sie noch zurück, weil sie bei einem Ausschankverbot bürgerkriegsähnliche Zustände befürchten. Außerdem trinken viele Gesundheitsapostel heimlich. Alles, was auf archaische Weise Spaß macht, merzen sie unbarmherzig und bürokratisch aus. Sobald der letzte Nanopartikel Konservierungsmittel aus den Lebensmitteln entfernt wird, legen wir uns als glückliche Ökogreise zum Sterben hin und überlassen den Planeten dann hoffentlich lebensfroheren Generationen.

»Schatz, ich rauche jetzt mal eine auf der Toilette«, sagt der junge Typ mit Dreitagebart.
»Ungeheuerlich«, zischt die Dicke. Die Tüte mit den Biochips ist leer.

Bild von Willgard Krause auf Pixabay

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern.

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