Grace de Dieus Himmelfahrt (2)

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Ich habe nach der Unterhaltung mit Gretz ein schlechtes Gefühl, werde mitten in der Nacht von einem Höllengeschrei, das aus seiner Wohnung zu mir dringt, geweckt, haste gemeinsam mit Johannes ein Stockwerk nach oben, wo wir die Tür von Gretz eintreten. 

»Schwierige Gespräche, Jungs?«
»Geht so.«
»Tim will mir nicht bei meinen Problemen helfen.«
»Die Bitch?«
»Wie redest du von meiner Frau, du Junkie?« Gretz schnellte nach oben, um Johannes an der Kehle zu packen. Ich hielt ihn zurück.
»Du möchtest unbedingt die Wahrheit erfahren. Okay: Johannes hat völlig recht. Sie ist ein faules Miststück.«
»Das denkt ihr tatsächlich von ihr?« Gretz schluckte.

Viel Beziehungsstress bei Gretz

Mein afrikanischer Nachbar arbeitete hart. Jeden Morgen um fünf Uhr aus dem Bett. Pakete in einem Zentrallager in Empfang nehmen, sortieren und dann zwölf Stunden lang ausfahren. Bezahlt wurde einzig auf Erfolgsbasis. Anzahl ausgelieferter Sendungen. Empfänger nicht zu Hause: gab’s kein Honorar für. Halt Pech des Freiberuflers. Dreimal die Woche abends zum Burger King, um Whopper zu grillen und die Fritteuse zu bedienen. Am Wochenende coachte er ehrenamtlich eine Taekwondo-Gruppe. Denn er war ein As in sämtlichen Kampfsportarten. Sonntags in die Kirche. Immer alleine.

Beatrix hingegen tat seit der Geburt der Tochter überhaupt nichts. Lag auf dem Sofa, zappte sich durch sämtliche Hartz4-Sendungen, die das TV zu bieten hatte, fraß ohne Unterlass, wurde täglich fetter und unbeweglicher. Glich mittlerweile einem Walross, dem man die Flossen gekappt hatte. Bewegung war bloß noch unter Keuchen und Stöhnen möglich. Schlimm genug, dass sie durchgesetzt hatte, das bildhübsche Kind auf den saublöden Vornamen ihrer Mutter taufen zu lassen. Anstatt irgendwas Melodisches und mit Rastazöpfen in Einklang Stehendes auszuwählen. Zu allem Überdruss erschien täglich auch noch mehrmals die griesgrämige Oma Susanne und half der dicken Beatrix dabei, den gutmütigen Grace de Dieu vollends in den Senkel zu stellen. Anstatt die beiden verbal einen Kopf kürzer zu machen, flüchtete er dann in Arbeit und Training. Ich konnte ihn verstehen, denn Familienzwist war mir ebenfalls stets zuwider gewesen. Allerdings hätte ich an seiner Stelle schon längst in den Sack gehauen und wäre ein für allemal verschwunden.

»Was ratet ihr mir?«
»Mach die Biege. Besser heute als morgen.« Johannes fummelte am Ghettobluster rum und suchte einen neuen Sender.
»Und du, Henning: was meinst du?«
»Dasselbe wie er. Schau zu, dass du der Ehehölle entkommst.«
»Wir sind nicht verheiratet.«
»Ich weiß.«
»Umso besser.« Unser Bodybuilder kontrollierte seinen Oberarm und küsste den Bizeps.

Schon Scheiße, wenn man abhängig ist

»Das macht es aus Gretz Sicht eher schwieriger.«
»Warum?«
»Weil er ohne Beatrix weniger Chancen auf ein Daueraufenthaltsrecht besitzt.«
»Ach so.«
»Wenn ich gehe, werden sie mir die Kleine wegnehmen.«
»Stimmt. Beim Jugendamt wirst du als Asylsuchender nicht die allerbesten Karten besitzen.«
»Ihr seht: ich kann nichts tun.«
»Schubs sie die Treppe runter und lass es wie einen Unfall aussehen. Am besten die unsympathische Mutter direkt hinterher.« Johannes grinste.
»Toller Tipp, Arschloch.«

Gretz sprang auf und verschwand grußlos im Haus.
»Und, unternimmt er was?«, fragte ich meinen Bekannten.
»Gar nichts wird er tun, Henning. Dackelt jetzt heim zu Mama und spielt dort den Bettvorleger.«
»Hoffentlich. Habe kein gutes Gefühl bei der Sache.«
»Du wirst alt und siehst an jeder Ecke Spukgestalten.«
»Vielleicht. … Drehe jetzt noch eine Runde mit den Inlinern, bevor es zu dunkel dafür wird.«

Der Geruch von Grillwürstchen und Paprika-Rippchen verfolgte mich bis zum Flussufer.

Höllenlärm in Gretz Wohnung mitten in der Nacht

Mitten in der Nacht wachte ich auf. Höllenlärm von schräg oben. Dort, wo Gretz und seine kleine Familie wohnten. Geschrei und Gekeife. Lauter als sonst üblich. Sollte ich aufstehen und klingeln? Verspürte ich wenig Lust drauf und blieb liegen. Hatte in der Vergangenheit nicht die allerbesten Erfahrungen damit gemacht, mich in die Angelegenheiten von zoffenden Paaren einzumischen. Am Ende vom Lied hielten die beiden wieder zusammen und man war als Dritter der Idiot. Vor einigen Jahren musste ich eine Nacht in den Bau, weil ich eine Patientin aus der Klinik vor ihrem zugedröhnten Freund beschützen wollte. Seitdem hielt ich mich von solchen Streitigkeiten fern. Plötzlich ein dumpfes Poltern, dann ein ohrenbetäubender Knall. So als ob die Schrankwand aus der Verankerung herausgerissen worden war. Der Aufprall auf dem Laminatboden hörte sich an wie ein mittelschweres Erdbeben. Ich sprang fluchend aus dem Bett. Zog mir eilig Jeans und Schuhe an, rannte die Treppen nach oben. Vor Gretz Eingang hatte sich ein kleiner Menschenauflauf gebildet. Johannes war dabei und wartete ungeduldig auf mich.

»Wo steckst du bloß? Habe dich schon zweimal angerufen.«
»Hat’s Handy lautlos, weil ich keinen Bock auf blödes Gelaber in der Nacht habe.«
»Klaro, Herr Hobby-Therapeut. … Macht keiner auf. Was sollen wir tun?«
»Tritt die Scheißtür ein.«
»Weshalb ich?«
»Du kannst das besser als ich.«
»Okay. Aber du erklärst es nachher den Bullen.«

Johannes warf sich mit seinen durchtrainierten zwei Zentnern Körpergewicht gegen das dünne Holz und trat beim nächsten Versuch mit aller Wucht an die Stelle knapp unterhalb der Klinke. Ächzen, Splittern, der Riegel gab nach und sprang aus der Zarge. Wir hasteten nach Innen.
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Hier geht’s morgen zur Fortsetzung.
Und hier zurück zu Teil 1.

Bild von OpenClipart-Vectors auf Pixabay

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern.

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