Der Legionär in Damenwäsche (2)

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Wir zocken die finale Partie, der Legionär wird wütend, schmeißt das Board an die Wand und schuldet mir nun ne Menge Kohle. Die will er nicht bezahlen und mir stattdessen an die Gurgel. Da schaltet sich Angelika als Vermittlerin ein.

»Bleib ruhig, Schatz.« Angelika kraulte ihm wieder die Eier. Er grunzte zufrieden, woraufhin sie verschwörerisch in meine Richtung blinzelte. Sie war ein typischer Schuss aus Porz: Haare eine Spur zu blond und nach oben zu einem Zopf gebunden, Schmollmund, pralle Titten, Fitnessstudioarsch in knallenger Fiorucci-Jeans, am linken Handgelenk die Santos von Cartier und rechts baumelte eine riesige MCM-Handtasche. Wenn sie auf Pumps balancierte, sah sie rattenscharf aus. Sie wusste natürlich um ihre Wirkung auf Männer, hielt sich trotzdem dezent im Hintergrund und bewahrte bei den schlimmsten Wutausbrüchen Ronnies immer die Ruhe. Angelika hatte es echt drauf, und ich wäre gerne mit ihr in die Kiste gestiegen. Da der Legionär aber supereifersüchtig war, verkniff ich es mir, sie auch bloß auf einen Drink einzuladen. Ronnie prügelte schon für geringere Anlässe Typen ins Krankenhaus.

Ohne Dopplerwürfel ist es Glückssache

Eine Partie ohne Dopplerwürfel ist eine gefährliche Sache. Es fehlt eines der wichtigsten Steuerungsinstrumente. Dem Zufall ist Tür und Tor geöffnet; der Faktor Glück wird plötzlich riesig. So spielten die Türken im Rakkas: feste Einsätze pro Match. Wie viel Geld ich da schon im Hinterzimmer verloren hatte. Heute Abend lief es allerdings gut für mich: mit den neuen Bechern warf ich abwechselnd Pasch und hohe Kombinationen; konnte meine Steine schnell und gefahrlos in die Home Base bringen. Ronnie haderte mit den Würfeln, trank abwechselnd Whiskey und Bier, zog falsch, ließ ohne Not Steine alleine stehen und eröffnete mir somit Möglichkeiten, ihn zu schlagen, sodass er immer wieder von vorne anfangen musste. Am liebsten hätte ich einige seiner Züge korrigiert und ihm erklärt, wie es richtig gemacht wird. Das aber hätte die Sache nur verschlimmert. Denn dann würde er sich wie ein Trottel vorkommen und erst recht in Rage geraten. Die Zornesader an seiner linken Schläfe war bereits jetzt bedrohlich angeschwollen. Ich schwieg also, denn ich wollte ihm keinen unnötigen Grund geben, sich künstlich aufzuregen. Ich befand mich ohnehin auf der Siegerstraße. Noch sieben Würfe, und ich wäre durch gewesen. Als ich ihn jedoch erneut schmiss, und er es nicht schaffte, den Stein sofort wieder einzusetzen, war’s um Ronnies Geduld geschehen.

»Drecksspiel«, schrie er und fegte das Board vom Tisch.
»Du schuldest mir jetzt 600«, sagte ich.
»Du bist wohl völlig plemplem. Gar nichts tue ich.«
»600. Und damit fährst du gut, denn du hättest die letzte Partie sicher doppelt verloren. Dann wären es 900 gewesen.«
»Pass auf, was du sagst, du Klugscheißer.«

»Schatz, Henning ist sicher mit den 300 zufrieden, die du vorhin bei Jürgen hinterlegt hast, oder?« Angelika schaltete sich ein, indem sie Ronnie sanft auf seinen Stuhl zurückdrückte.
»Können wir so machen.«. Reale 300 waren vernünftiger als illusorische 600.

»Siehst du – Henning zeigt guten Willen. Da solltest du heute Abend nicht nachstehen. Was sind schon 300 Mark für einen Kerl wie dich? Lächerlicher Kleinkram.«
»Okay, obwohl es der Halbaffe nicht verdient hat. Aber meine Zeche geht auf ihn.«
»Du kümmerst dich darum?« Angelika schaute mich bittend an, denn auch sie war nicht scharf auf vermeidbaren Stress.
»Tue ich.«
»Und wir zwei gehen jetzt zu mir nach Hause. Eine Runde vögeln. Das gefällt dir doch, Ronnie?« Sie hakte sich beim Legionär ein und spazierte mit ihm nach draußen. Sie drehte sich in der Tür kurz um und taxierte mich. So als ob sie überlegte, ob ein Flirt mit mir den nachfolgenden Ärger mit Ronnie wert war.
»Was glotzt du so? Komm endlich!«, hörte ich seine Stimme; dann waren beide aus meinem Blickfeld verschwunden.

Karnevalsfreitag sind alle müde

Es ging auf Mitternacht zu. Im Red Diamond war nicht mehr viel los. Die Leute waren müde von Weiberfastnacht und gingen heute früh ins Bett. Übriggeblieben waren Jürgen, Veronika, ich und ein paar Stammgäste, die sich unser Match aus sicherer Entfernung angeschaut hatten.

»Jetzt was Ordentliches, Henning?«
»Mix mir was mit Zitrone. Bloß nichts Süßes; davon bekomme ich am nächsten Tag immer üble Kopfschmerzen.«
»War klug von dir, nicht auf die 600 zu pochen.«
»Weiß ich.«
»Willst du den Betrag ausbezahlt haben oder stehenlassen?«
»Meine 300 bleiben bei dir. Den Rest des Legionärs nehme ich mit.«
»Nach Abzug aller Getränke bleiben 220 übrig.«
»Gib mir 200. Und 20 Trinkgeld für Veronika.«
«Großzügig von dir.«
»Veronika macht einen hervorragenden Job. Hat einen beruhigenden Einfluss auf meine Gegner. Ohne sie würde es öfter eskalieren mit all den Idioten, die hier ihr Gehalt verzocken.«

Seit Monaten herrschte Backgammon-Fieber in der Stadt. Die Typen kamen von überall her angereist, um im Red Diamond zu zocken. Oft brachten sie ihre Bräute mit, um vor denen mit ihren Spielkünsten zu prahlen. Sobald der Dopplerwürfel eingesetzt wurde, trennte sich schnell die Spreu vom Weizen. Auf die Dauer von zwei, drei Stunden gewann immer derjenige, der die Gesetze der Wahrscheinlichkeit verstanden hatte. Man konnte ruhig vier Partien beim Dopplerstand 2 verlieren, wenn man anschließend den Big Point mit 16 oder gar 32 machte. Die meisten zahlten anstandslos, einige beschwerten sich über gezinkte Würfel, oder dass es unfair sei, wenn Amateure von Profis ausgenommen werden. Dabei waren sie ja extra zu dem Zweck gekommen, um gegen die Guten zu spielen. Andernfalls hätten sie ja auch in ihren traurigen Läden in Bergheim, Bergisch-Gladbach oder Frechen bleiben können. Wer sich mit einem von uns an den Tisch setzte, musste damit rechnen, drei Stunden später um ein paar hundert Mark ärmer zu sein. Wir wiederum zahlten eine happige Startgebühr an Jürgen.

Ab und an beauftragten Spieler auch Geldeintreiber vom Schlage Ronnies, die wiederum am ausstehenden Gewinn beteiligt werden mussten. Da konnte über den Monat gesehen schon die Hälfte des Umsatzes für draufgehen. Und wir ließen alle viel zu viel Kohle in den Kölner Bars und Diskotheken. So richtig reich wurde niemand mit der Zockerei. Aber sie ermöglichte uns ein Leben, das wir sonst nicht hätten führen können. Ich war keiner der Topspieler; aber fürs Erleichtern der solariumgebräunten und Goldketten behangenen Schwachköpfe aus den Vororten reichte es allemal. Auch war ich nicht zimperlich bei der Auswahl meiner Gegner. Die Matches mussten nicht wie bei den Profis erst langwierig vereinbart werden. Ich akzeptierte den, der mir gerade gegenüber saß. So generierte ich schnellen Umsatz, worüber sich Jürgen freute.

Im Coconut steigt gleich ne Party

Mit einem Daiquiri vor mir kletterte ich auf einen Barhocker. Jürgen hatte die Musik lauter gedreht. Aus den Boxen schallte Billie Jean von Michael Jackson. Nicht so meins. Ich überlegte, was ich mit dem angebrochenen Abend noch anfangen konnte. Veronika stellte sich neben mich.

»Hast du Lust, auszugehen?«
»Wohin? Heute ist doch alles tot.«
»Nicht überall. Im Coconut steigt eine Party.«
»Kostümiert?«
»Natürlich. Es ist Karneval. Was denkst du denn?«
»Mist!«
»Warum?«
»Weil ich nix zum Anziehen habe.«
»Du hast kein Kostüm? Willst du mich verarschen?«
»Klar, habe ich was zum Verkleiden. Aber nicht hier. Müsste ich erst nach Hause fahren. Habe ich aber jetzt keine Lust drauf.«

»Kannst was von mir haben.«
»Frauenklamotten?«
»Würden dir sicher gut stehen.«
»Auf keinen Fall!«
»Keine Sorge: Indianersachen von meinem Exfreund. Müssten dir passen. Ihr habt in etwa die gleiche Statur. Hat er bei seinem Umzug bei mir liegenlassen.«
»Indianer war ich das letzte Mal mit 10.«
»Dann lass es sein. Ist bloß ein Angebot von mir.«
»Hast mich überzeugt. Ich mach’s.«
»War klar. Keine Feier ohne Henning.«
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Bild von OpenClipart-Vectors auf Pixabay

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern.

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