Kontakthof-Blues (2)

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In Zimmer 348 werde ich von ihr mit Peitsche und Hundeleine erzogen, verfluche sie, als ich wieder klar denken kann und prügele mich draußen vor dem Eroscenter mit zwei Galgenvögeln.

Wir rutschten von den Barhockern runter, sie hakte sich bei mir ein, legte den Kopf schräg auf meine Schulter. Der dürre Pitter rief uns hinterher: »Wenn’s spät wird, wisst ihr, wo der Notausgang ist.«

Auf der schmalen Treppe roch es nach Linoleum und Desinfektionsmittel. Ein grimmiger Herkules mit ölpolierter Glatze, in körperbetontem, schwarzen Lederjackett stierte uns nach, als wir in Zimmer 348 verschwanden.

Teddybären und Lederpeitsche

An der Wand Lederkorsagen, Peitsche, Hundeleine, die ich nicht kannte. Auf dem Bett drei Teddybären.
»Neue Sachen?«, fragte ich.
»Wie lange warst du nicht mehr hier?«
»Vier, fünf Wochen«
»Vor einem Monat angeschafft. Die alten Herren fahren voll darauf ab. Willst du es ausprobieren?«
»Nein!«
»Bist immer noch derselbe kleine Schisser wie früher in der Pfarrdisco«, höhnte sie.
Ihre Stimme klang allerdings zärtlich, als sie mich zu sich runter aufs Sofa zog.

Als ich ihre Lippen berührte, leckte sie genießerisch über meine Zähne, bevor sie sie mir ihre Katzenzunge weit in den Rachen hineinsteckte. Nachdem sie die Glut in mir entfacht hatte, stoppte sie nach dreißig Sekunden, schob mich von ihrer Schulter weg und sagte geschäftsmäßig:
»Küssen ist im Preis nicht enthalten.«
Ich seufzte: »Leider.«
»Du weißt, was dann mit dir passiert.«
»Jap. Schon tausendmal gespürt.«

Sie zündete sich eine Zigarette an: »Du liebst mich immer noch?«
»Nicht so richtig.«
»Laber nicht blöde rum. Du tust es seit unserer Tanzstundenzeit.«
»Versuche, es mir abzugewöhnen.«
»Indem du säufst und andere Frauen unglücklich machst. Eine Kack-Methode.«
»Was soll ich machen? Du hältst mich seit Jahren auf Abstand. In ein Kloster gehen?«
»Wäre vielleicht eine gute Idee für einen kaputten Typen wir dich. Müsste allerdings ein weltabgeschiedener Ort ohne Bier und Whiskey sein.«
»Jetzt bloß keine Moralpredigt!«
»Du willst es einfach nicht verstehen: in der Schule warst du zu jung. Und jetzt bist du ein armer Möchtegern-Akademiker, der sein bisschen Kohle nachts beim Backgammon verzockt. Was soll ich mit einem Loser wie dir anfangen?«

Trink das!

Erregt sprang ich auf, lief zur Wand, schnappte mir in einer Übersprunghandlung die Peitsche, mit der ich kräftig auf den Tisch schlug.

»So gefällst du mir besser«, lächelte sie. »Möchtest du es ausprobieren?«
»Was?«
»Wirst schon sehen. Vertrau mir.«
Sie ging ins Bad, während ich in ihrem kleinen Kühlschrank nach Bier forschte.

Als sie zurückkam, hatte sie sich umgezogen. Steckte jetzt obenrum in einer Art Uniform, die mich an Rommels Afrikakorps erinnerte.

»Was soll das werden?«, fragte ich und schüttete eine Dose Carlsberg in mich rein.
»Stell dich nicht künstlich dumm. Ich werde dich erziehen.«
»Das hat schon meine Mutter nicht geschafft.«
»Dann wird es höchste Zeit dafür.«
»Ist jetzt nicht so mein Ding.«
»Entspann dich. Es wird dir gefallen.«

Sie fingerte eine Phiole aus ihrer Handtasche, zerbrach das dünne Glas und verrührte die klare Flüssigkeit in einem Zahnputzbecher Wasser.

»Trink das! Bei Drogen bist du ja experimentierfreudiger als mit neuen Lusterfahrungen.«

Ich schluckte die geschmacklose Medizin und wartete auf die Wirkung. Nach fünf Minuten trübte sich mein Blick. Der ohnehin spärlich beleuchtete Raum verwandelte sich in eine neblige Herbstlandschaft. In meinem Kopf erhob sich ein leichtes Brausen ähnlich einem Wasserfall, wie ich ihn mal in den Dolomiten bestaunt hatte. Aus weiter Ferne hörte ich ihre metallene Stimme: »Zieh dich aus!«
In diesem Moment wurde mir alles egal.

Ich nun mechanisch wie in Trance

Ich führte ihre Befehle jetzt wie in Trance aus. Kniete nieder, ließ mich an den Händen fesseln, küsste ihre Stiefel, die sie unendlich langsam auszog, und leckte ihre dunkelrot lackierten Zehen ab. Sie stellte ihren Fuß auf meine Schulter, grinste, drückte mich nach hinten, so dass ich rücklings auf den hellgrauen Filzteppichboden fiel und mich wie ein flügelloses Insekt fühlte. Mein Gehirn arbeitete weiter, jedoch in Zeitlupe. Zudem war ich völlig willenlos. Hätte sie befohlen, mir ein Stück Fleisch aus dem Oberschenkel zu schneiden und es roh zu verzehren: ich hätte es getan.

»Möchtest du mit mir schlafen, du geiler Bock?«
»Ja.«
»Und wirst alles tun, was ich von dir verlange?«
»Ja.«
»Sehr schön.«

Sie schlüpfte aus ihrem kurzen Latexrock. Ich glotzte auf ihre penibel rasierte Scham. Dann öffnete sie meine Hose und zog mich aus. Meine Erregung steigerte sich ins Unermessliche. Sie stand kurz auf, wühlte in einer Schublade und kehrte mit einer transparenten Plastiktüte zurück. die sie mir über den Kopf stülpte.

»Was machst du, Wahnsinnige?«, rief ich.
»Lass dich überraschen. Das wird der beste Fick deines Lebens werden.«
Ich versuchte, mich zu wehren, nach ihr zu schlagen, allerdings vergeblich. Arme und Beine waren schwer wie Blei und ließen sich nicht einen Millimeter bewegen.

Sie nahm breitbeinig Platz und ritt mich. Erst behutsam, dann immer schneller werdend. Mein Atem ging stoßweise, denn viel Luft bekam ich nicht. Ich hörte mich selbst wie durch eine Wattewand hindurch schreien. Lust gepaart mit Todesangst. Sekundengleich mit der letzten Zuckung des Orgasmus, der eine Stunde zu dauern schien, schwand mir das Bewusstsein.

Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich schweißgebadet auf dem roten Sofa. Sie hatte mich wohl
dorthin verfrachtet. Auf der Stirn ein mit Eiswürfeln gefüllter Waschlappen. Sie saß im weißen Trainingsanzug und Badelatschen daneben, rauchte.

»Hältst ja nicht allzu viel aus, mein kleiner Gigolo«, lächelte sie. »Für den Anfang war es aber ganz okay. Du musst noch viel lernen. Vor allem wie man eine Frau wie mich befriedigt.«

Ich richtete meinen Oberkörper auf. Vor meinen Augen kreisten transparente Spiralen und Sterne. Auf gummiweichen Beinen stand ich auf und zog mich an.

»Das war heute ein Freundschaftspreis. Beim nächsten Mal musst du mehr Kohle mitbringen.«
»Leck mich«, flüsterte ich und schlich den stockdunklen Korridor entlang in Richtung Treppe.
»Du bist ein undankbares Arschloch. Zu nichts zu gebrauchen. Ich hasse dich«, kreischte sie mir hinterher.

Im Morgengrauen kotze ich mir die Seele aus dem Leib

Draußen auf der Straße pumpte ich meine Lungen voll mit frischer Luft. Auf der anderen Seite lümmelten zwei Taxifahrer vor dem Schaufenster der Eroscenter-Frittenbude. Der eine zeigte auf mich und grinste: »Schau mal den Typen da drüben. Der sieht aus, als wäre er eben beinahe totgebumst worden.« Die beiden lachten dreckig.

Ich wankte hinüber und sprach ihn an: »Hast du mal ne Kippe für mich? ich zahle auch dafür.«
»Wie wär’s mit bitte?«

Ich nahm ihm die brennende Zigarette aus den Fingern, ging wortlos weiter. Die zwei Kerle tuschelten aufgeregt, folgten mir allerdings nicht. An der vierten Laterne hielt ich an, umarmte den Mast und sank wie ein Betender in die Knie. Ein gigantischer Würgereiz erfasste mich. Ich öffnete den Mund und heraus sprudelten Carlsberg, Jägermeister, Kaffee, Four Roses, Dosenravioli. Sowohl flüssig als auch in Brocken. In umgekehrter Reihenfolge, wie ich sie zu mir genommen hatte. Selbst das Nutellabrötchen vom Morgen vorher glaubte ich erneut zu schmecken. Ich hatte jahrelang nicht mehr vom Alkohol kotzen müssen. Wollte gar nicht wissen, welche Tropfen sie mir vorhin verabreicht hatte.

Geschwächt, aber erleichtert erhob ich mich vom Rinnstein. Ich brauchte jetzt dringend Nachschub. Irgendein 24-Stunden-Shop würde sicher geöffnet haben. Zwei Galgenvögel in meinem Alter näherten sich.

»Hast du mal nen Zwanni für uns?«
»Nein.«
»Scheinst ein Geizkragen zu sein.«
»Lass mich in Ruhe!«
»Der Besoffski will Streit mit uns anfangen.«

Die zwei grinsten, weil sie leichte Beute erwarteten. Ich überlegte eine Zehntelsekunde. Dann drosch ich dem Rechten die Faust in den Solarplexus, was ihn augenblicklich röchelnd zu Boden gehen ließ. Dem zu meiner Linken trat ich mit dem Absatz meines mexikanischen Stiefels vors Schienenbein. Auch er fiel sofort um, konnte jedoch im Gegensatz zu seinem Kumpel noch jammern. Die Regeln in unserem Stadtteil waren klar: in Situationen wie dieser musstest du der Schnellere sein. Andernfalls liegst du auf dem Asphalt und nicht dein Widersacher. Die Eltern schickten einen bereits als Grundschüler in Fußball-, Box- und Karatevereine, damit wir frühzeitig lernten, uns durchzusetzen und zu verteidigen.

Ohne mich umzudrehen, marschierte ich weiter und erreichte nach wenigen Minuten die Escherstraße.
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Bild von SilviaP_Design auf Pixabay

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Ingrid Dorner

    Der Autor beschreibt die Szenen so bildlich, dass man die Geschichte besser mit nüchternem Magen liest ..

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