Grace de Dieus Himmelfahrt (3)

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Beatrix liegt leblos auf dem Teppich, die Schmier führt Gretz ab, ich warte mit der kleinen Tochter darauf, dass die von der Großmutter abgeholt wird und erinnere mich daran, wie Gretz mir von seiner Killer-Vergangenheit in Afrika erzählt hatte.

»Wo steckst du bloß? Habe dich schon zweimal angerufen.«
»Hat’s Handy lautlos, weil ich keinen Bock auf blödes Gelaber in der Nacht habe.«
»Klaro, Herr Hobby-Therapeut. … Macht keiner auf. Was sollen wir tun?«
»Tritt die Scheißtür ein.«
»Weshalb ich?«
»Du kannst das besser als ich.«
»Okay. Aber du erklärst es nachher den Bullen.«

Kein schöner Anblick

Johannes warf sich mit seinen durchtrainierten zwei Zentnern Körpergewicht gegen das dünne Holz und trat beim nächsten Versuch mit aller Wucht an die Stelle knapp unterhalb der Klinke. Ächzen, Splittern, der Riegel gab nach und sprang aus der Zarge. Wir hasteten nach Innen.

Mit schreckgeweiteten Augen glozten wir auf die leblos rücklings liegende Beatrix, die unter der Schrankwand begraben war. Mit glasigem Blick wie irre stand Grace de Dieu daneben und hielt sich ein langes Messer an den Hals. Bereit, sich im nächsten Moment die Schlagader zu durchtrennen. In der Ecke die zu einer Salzsäule erstarrte Susanne, die alles hatte mitansehen müssen.

»Gretz, mach jetzt keinen Blödsinn. Gib mir das Messer!«
»Nein. Ich werde mich umbringen. Es hat alles keinen Sinn mehr.«
»Denk an deine Tochter. Die braucht ihren Vater.«

Wie aus einem Fieberwahn erwacht bemerkte Gretz, dass Susanne ihn beobachtete. Der hünenhafte Mann ließ das Mordinstrument auf den Boden fallen, plumpste wie ein nasser Sack aufs Sofa und brach in Tränen aus. Johannes war peinlich berührt, weil er Tränen für uncool hielt. Mir war bewusst, wie unendlich mies sich unser Nachbar in dieser Minute fühlen musste, in der seine gesamte, bisher mühevoll zusammengehaltene, Welt zusammenbrach.

Ich schaute aus dem Wohnzimmerfenster auf die Straße. Drei Polizeiwagen mit Blaulicht. Rettungswagen, Notarzt. Großes Aufgebot.

»Die Schmier ist da«, sagte ich leise.
»Dann werden sie unseren Krawallbruder gleich einkassieren.«
»Natürlich.«
»Was passiert mit der Kleinen?«
»Sollte die Großmutter abholen.«
»Meinst du. Beatrix überlebt es?«
»Keine Ahnung. Besser wäre es. Denn ansonsten wird es eine sehr bittere Sache für unseren Kumpel.«.

Beatrix wird durchkommen

Grace de Dieu hockte wie ein Häufchen Elend auf der Sofakante und hatte das Gesicht in den Händen vergraben. Als die Bullen sich ihm näherten, wollte er sie kraftlos abwehren und alleine aufstehen. Vier warfen sich auf ihn. Handschellen klickten. Er wurde abgeführt. Susanne war stumm Zeugin des Geschehens gewesen. Ich streichelte ihr übers Haar und nahm sie auf den Arm.

Den einen Sanitäter kannte ich. Der hatte mich früher oft in die Klinik begleitet, wenn ich besoffen in meinem Apartment aufgefunden worden war. Hieß Martin und wohnte zwei Kreuzungen entfernt von unserem Sozialhochhaus.

»Wird sie durchkommen?«, fragte ich.
»Mit etwas Glück: ja. Sie hatte echt Dusel, weil wir sofort alarmiert worden sind und schnell hier waren.«
»Wer hat euch angerufen?«
»Der Ehemann.«

Sie hievten die bewusstlose Dicke auf eine Trage und rollten sie an den neugierigen Nachbarn vorbei in den Fahrstuhl.

»Sollen wir das Mädchen mitnehmen, oder warten Sie auf die Großmutter? Die wurde eben von uns informiert«, erkundigte sich ein junger Polizist bei mir.
»Mache ich, Herr Wachtmeister.«

Susanne legte ihre kleine Hand in meine, und wir gingen schweigend eine Etage tiefer zu mir. Johannes folgte uns.
»Wie wird es ausgehen, Henning?«
»Was weiß ich. Ohne Top-Rechtsbeistand sieht es nicht rosig aus für Gretz.«
»Den kann er sich bestimmt nicht leisten.«
»Natürlich nicht. Er wird einen mittelmäßigen Verteidiger auf Prozesskostenhilfe zur Seite gestellt bekommen.«
»Oh weh. Das wird böse für ihn enden. Anwälte, die schlecht bezahlt werden, tun nicht mehr als unbedingt notwendig ist. Da brauchst du eigentlich erst gar keinen zu bestellen.«
»Genauso ist es.«

Gretz hat ne dunkle Vergangenheit

Susanne weinte lautlos. War ein tapferes Mädchen. Würde den Tod der Mutter eher verkraften als die Abschiebung des Vaters. Gretz besaß nach dieser Aktion keine tollen Karten. Da brauchte ich kein Jurist zu sein, um das einschätzen zu können. Meine Stimmung war nicht die allerbeste. Warum hatte ich mich vorhin dazu hinreißen zu lassen, dem Hünen meine offene Meinung zu sagen? Sowas ging selten gut aus. Vielleicht würden alle friedlich schlafen, wenn Johannes und ich vorhin unsere Schnauze gehalten hätten. Hätte, würde, könnte: all diese Konjunktive. Passiert wäre es irgendwann sowieso. Die Tat lag förmlich in der Luft.

Grace de Dieu war ein Killer. Hatte bereits als Jugendlicher mehr Tutsi getötet als jährlich Mordfälle im Gerichtsbezirk Köln verhandelt werden. Davon erzählte er leise, wenn er abends zu viel geraucht hatte. Nach der dritten Wiederholung kaufte ich ihm damals die Geschichte ab. »Es war ein gegenseitiges Abschlachten. Entweder wir oder die anderen«, rechtfertigte er sich. Durch harte Arbeit, Unterwürfigkeit in der Beziehung und sonntäglichen Kirchgang versuchte er, seine Schuld abzubauen, um irgendwann der Gnade Gottes teilhaftig zu werden.

War vermutlich nur eine Frage der Zeit gewesen, bis er die Maske des Biedermanns abgeworfen hätte. Wenn nicht heute, dann eben in ein paar Wochen oder Monaten. Merkwürdigerweise empfand ich seine Taten weniger schlimm als das ständige Gekeife von Beatrix. Musste ich mich demnächst mal mit meiner Psychologin drüber unterhalten.

»Was tust du jetzt, Henning?«
»Auf die Großmutter warten.«
»Ich bleibe bei dir. Kann eh nicht mehr pennen.« Auch Johannes schien sich nicht wohl in seiner Haut zu fühlen.

Nun würde Gretz Himmelfahrt im Knast anstatt in der Kirche verbringen.
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Bild von Clker-Free-Vector-Images auf Pixabay

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern.

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