Tagebuch 24. Januar

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Ich bin kein Schriftsteller, ein Dichter oder Künstler schon gar nicht. Ich habe keine Arbeitsmethode, keinen festen Rhythmus.

Tagebuch 24. Januar

Ich bin kein Schriftsteller, ein Dichter schon gar nicht. Ich habe keine Arbeitsmethode, keinen festen Rhythmus. Wenn mir ne Idee kommt und ich Bock darauf habe, hämmere ich ein paar Zeilen in die Tastatur. Falls es gut läuft, können es auch schon mal einige Seiten werden. Aber dann habe ich zumeist schon wieder keine Lust mehr auf die Schreiberei, weil ich denke, dass alles, was ich schreibe, von irgendjemand vorher bereits schon mal geschrieben wurde. Manchmal überlege ich, warum ich es überhaupt tue. Ist es so ein Selbstreinigungsfetisch, Sachen rauslassen, die man im persönlichen Gespräch lieber nicht rauslässt und sich danach erleichtert fühlen? Wobei ich ehrlich gesagt nicht weiß, ob ich mich nach der Schreiberei erleichtert fühle. Eher eine Viertelstunde lang geistig ausgelaugt. Ja, eine Viertelstunde geistig ausgelaugt trifft es gut.

Schreibe ich, um zu unterhalten? In Facebook und all dem anderen Social-Media-Gedöns ein naheliegender Gedanke. Allerdings: wozu soll ich andere gratis unterhalten? Wenn die sich unterhalten wollen, sollen sie Netflix abonnieren oder ins Kino gehen (okay, die Zweitgenannten sind zur Zeit geschlossen. Aber irgendwann werden sie wieder aufmachen). Mache ich es aus Eitelkeit: anderen zeigen, dass ich besser schreibe als sie? Falls ja: Bringt mir auch nichts außer max. einer Viertelstunde Befriedigung. Und diese Viertelstunde geht immer schneller vorbei, als mir lieb ist. Im Anschluss denke ich oft: Warum habe ich das geschrieben? Oder: Warum habe ich es nicht anders geschrieben? Oder: Wer will sowas lesen?

Ist es vielleicht ein Spiritualität-Ding: Mein Weg, um mit mir und dem Universum klar zu kommen? Will ich mich mittels Schreiberei vergewissern, dass ich lebe? Oder mich gar anzuspornen, besser zu leben?

Was weiß ich?
Ich weiß nur, dass dieses Künstlergetue albern ist.
Wir sind alle Künstler. Der eine spielt ein Instrument, der andere malt, wieder ein anderer kocht, manche sind wahre Sexartisten und die, die weder ein Instrument spielen, noch malen, kochen oder Sexartisten sind, die schreiben halt notgedrungen.

Jetzt, wo ich das hier getippt habe, fällt es mir wie Schuppen vor den (nicht: die) Augen: Die Schreiberei ist ne instinktive Sache wie die Morgenverdauung und der Gedanke an spontanen Geschlechtsverkehr, wenn ich eine attraktive Frau sehe. Nicht mehr. Wobei das mMn schon ne Menge ist. Welche Aktivität kann man schon, ohne die Wahrheit übermäßig zu verdrehen, mit der Morgenverdauung und dem Gedanken an spontanen Geschlechtsverkehr vergleichen? Da gibt es nicht viele.

Alles in mir, um mich herum ist eine Geschichte. Jedes Leben ist ein Gedicht. Ich bin bloß derjenige, der versucht, Wahnsinn, Schönheit (falls ich ihr mal begegne) und Monotonie in Worte und Sätze zu gießen. Dem Ganzen ein Text-Kleid zu weben, damit mein/unser flüchtiger Alltag nicht allzu schnell in Vergessenheit gerät. Instinktiv, spielerisch, das gefällt mir. Wenn es mir bloß immer so einfach fiele wie die Morgenverdauung. Und die Zufriedenheit nach dem letzten Punkt länger anhielte als bloß eine Viertelstunde.
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Bild von OpenClipart-Vectors auf Pixabay

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern.

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