Las Vegas Strip

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Ich sitze in ner Table Dance Bar, zische ein Corona nach dem anderen, da lerne ich Hank kennen, der im Zuchthaus nebenan als Henker arbeitet.

Las Vegas. In der Nähe des Strips. Donnerstagnacht. 0.40.
»Noch ein Bier, junger Mann?«
»Ja gerne. Ein Corona.«
»Habe ich schon dabei. Cheers!«Die barbusige Kellnerin quetschte mit ihrem rechten Zeigefinger die kleine Limettenscheibe noch tiefer in den Flaschenhals hinein und quittierte die Zehndollarnote, die ich auf ihr Tablett legte, mit einem leichten Hüftschwung vor meinem Gesicht.

Der nette Portier in unserem Hotel hatte mir nach dem Abendessen eine Freikarte für den Sapphire Club geschenkt. Den müsste ich unbedingt gesehen haben. Sei der beste und größte Stripladen westlich der Rocky Mountains. Zwar nur topless und nicht totally nude; dafür würden sie da aber auch Alkohol ausschenken. Der Unterschied bestand ohnehin nur im Anbehalten eines winzigen String Tangas. So, wie er mich einschätzte, würde ich mich spätabends einzig mit Kaffee und Cola unwohl fühlen. Der Mann verfügte über eine gute Menschenkenntnis. Ich gab ihm ein ordentliches Trinkgeld und machte mich auf den Weg.

»Und sagen Sie dem Türsteher, dass Fernando sie geschickt hat. Der weiß dann sofort Bescheid«, hatte er mir noch aufgetragen.
»Werde ich tun.« Wahrscheinlich bekam Fernando Prozente für die Vermittlung von Hotelgästen.

Laden, in dem ich mich wohlfühle

Ich saß seit rund einer halben Stunde auf einer tiefen, schwarzen Ledergarnitur in der zweiten Reihe vor der Bühne. Vorne tanzte gerade eine circa fünfundzwanzigjährige Latinoschönheit an einer Stange. Sie sah nicht nur gut aus, sondern wusste auch, wie sie ihren Körper bestmöglich in Szene setzen konnte. So, wie sie gebaut war, war sie sicherlich täglich in einem der zahlreichen Fitnessstudios der Stadt anzutreffen. Die Figur war top. Kein Gramm Fett zu viel. Lange dunkelbraune Haare, die ihr bis über die Schulter fielen, und die sie bei ihrem Tanz wild hin und her wirbelte. Vor ihr hatte sich eine Gruppe Collegestudenten aufgebaut. Die grölten, pfiffen, tranken den Bourbon direkt aus der Flasche und versuchten, das Mädchen anzufassen. Sie drehte sich mit Schwung um, ging in die Knie und streckte den Typen ihren Po entgegen. Die jungen Kerle gerieten schier aus dem Häuschen und versuchten, sie zu berühren. Blitzartig schnellte sie wieder nach oben, schüttelte verneinend den Kopf und machte mit Daumen und Finger die typische Erst-Mal-Kohle-rausrücken-Geste. Daraufhin beugte sie sich nach vorne und ließ sich von den Studenten die Scheine in den Tanga hineinstecken. Mit einer Kusshand verabschiedete sie sich von ihrem Publikum.

Ich fühlte mich wohl in diesem Schuppen. Es gab Bier und Whiskey. Die Kellnerinnen waren hübsch und aufmerksam. Die Anmache der professionellen Damen hielt sich in Grenzen. Ich war nicht mehr nüchtern, aber auch nicht betrunken. Halt angenehm angeheitert. Ich beschloss, noch eine weitere Stunde sitzenzubleiben. Ich würde morgen zu Fernando gehen und mich für seinen Tipp bedanken. Den Sapphire Club fand ich unterhaltsamer als die langweilige Spielerei an den öden Automaten. Den Laden würde ich an den kommenden Abenden öfter besuchen. Plötzlich ließ sich ein untersetzter Typ neben mich fallen. In etwa mein Alter. Irgendwo zwischen vierzig und fünfzig. Halbglatze. Dicke Hornbrille. Fliederfarbenes Jackett. Darunter ein grelles Hawaiihemd.

Ein Gast mit deutschen Vorfahren, der sich freut, nen Kraut zu treffen

»Hi, ich heiße Henry. Meine Freunde nennen mich Hank.«
»Ich bin Henning. Nett dich kennenzulernen, Hank.«
»Oh, du bist ein bloody deutscher Bastard.«
»Merkt man mir an, oder?«
»Höre ich sofort raus. Meine Großmutter kommt von dort. Ein Dorf im Süden. Kreilheim oder so ähnlich.«
»Wahrscheinlich Crailsheim.«
»Ja genau. Warst du da schon mal?«
»Bin dran vorbeigefahren.«
»Ich glaube es nicht. Ich treffe in diesem gottverdammten Club einen Kraut, der Kreilheim kennt. Darauf trinken wir einen. Sei mein Gast heute Abend, Henning aus Germany!«

Hank bestellte eine Flasche Tequila, tätschelte der Bedienung den Oberschenkel und goss uns beiden ein. Er trank sein Glas in einem Zug aus. Ich machte langsamer. Wollte mich in dieser Nacht nicht total abschießen.

01.15. Auf dem Ledersofa.
»Machst du Ferien in Las Vegas, Henning?«
»Wie man’s nimmt. Besuche hier eine Messe. Hat ja was von Urlaub.«
»In welchem Hotel wohnst du?«
»Im New York. Zweiundvierzigster Stock. Schöner Ausblick.«
»Der Laden mit der Achterbahn. Schon mit dem Teil gefahren?«
»Ja, zwei Mal. Ganz lustig, wenn die mitten durch die Lobby braust.«
»Auch ordentlich gezockt?«
»Ein bisschen Black Jack. Die Automaten sind nicht so meins.«
»Sehr vernünftig, mein neuer deutscher Freund. Besser die Kohle hier ausgeben. Da hast du mehr von.«

Hank gab einer blonden Tänzerin ein Zeichen, die näherte sich sofort unserem Tisch. Er wies mit dem Daumen auf mich. Die Dame setzte sich breitbeinig auf meinen Schoß und drückte mein Gesicht zwischen ihren Busen. Dann begann sie, mit rhythmischen Bewegungen auf meinen Oberschenkeln hin- und herzuschaukeln. Gleichzeitig klatschte sie mir ihre Brüste links und rechts um die Ohren. Ich war mir unsicher, ob es mir gefiel, denn der Vorgang erinnerte mich an Ohrfeigen, die ich mir früher von meiner Mutter eingefangen hatte. Nach drei Minuten war der Spaß vorbei. Tracy, wie sich uns vorstellte, fragte mich: »Did you like it?« Ich antwortete: »Yes«, Hank grinste und steckte Tracy fünfzig Dollar zu. Sie verließ uns, nicht ohne zu erwähnen, dass sie uns später auch gerne die hinteren Räume des Clubs zeigen würde.

»Und wie war’s, du kleiner deutscher Mann? Mochtest du ihre Erziehung?«
»Weiß nicht. War ähnlich wie Faustschläge ins Gesicht.«
»Sie hatte bestimmt altes Silikon drinnen. Das wird mit der Zeit hart«, lachte Hank.

Mein Gastgeber hatte nahezu die komplette Flasche alleine geleert. Und zeigte bisher keine Ausfallerscheinungen. Ist ein geübter Trinker, überlegte ich. Er besorgte nun zwei Bier für uns.

Ein Beruf, der bei uns ausgestorben ist

»Und du Hank, kommst du aus Las Vegas?«
»Vier Autostunden östlich von hier. An der Grenze zu Utah. Aber immer noch Nevada.«
»Und fährst am Wochenende auf den Strip, um dich zu amüsieren?«
»So kann man es auch nennen. Wobei ich heute abschalten möchte, weil mich morgen ein harter Job erwartet.«
»Aber nicht direkt um acht Uhr; oder? Da wirst du noch deinen Rausch ausschlafen.«
»Erst um Mitternacht.«
»Was machst du um die Geisterstunde?«
»Ich arbeite im Ely State.«
»Sagt mir nichts.«
»Klar, du bist ein fucking tourist. Das kennst du nicht.«
»Mach’s nicht so spannend, Hank.«
»Ist ein Conservation Camp. Ihr nennt das Zuchthaus.«
»Und deine Schicht dort beginnt um Mitternacht?«

Hank orderte einen doppelten Bourbon und wandte sich wieder mir zu.

»Ich bin einer von Zweien, die :tomorrow push the button.«
»Was für ein Knopf?«
»Mit dem die Injektion in Gang gesetzt wird.«
»Was bedeutet das?«
»Du verstehst auch gar nichts. Die Giftspritze für einen Mörder.«
»Du wirst morgen einen Gefangenen töten?«
»Vielleicht ich oder aber mein Kollege. Es sind zwei Knöpfe. Nur einer davon funktioniert. Sie sagen uns anschließend nicht, wer von uns beiden den Todesmechanismus ausgelöst hat.«

»Und das hilft?«, fragte ich ungläubig.
»Einen Scheißdreck tut es. Dieses dämliche Versteckspiel haben sich hirnrissige Psychologen ausgedacht.«
»Und du musst das tun?«
»Der Kerl hat auf sämtliche Gnadenappelle verzichtet. Sonst würde sich das Verfahren noch jahrelang hinziehen. Wahrscheinlich würde ich vorher pensioniert. Aber nun ist der Termin definitiv auf morgen festgesetzt und mich armes Schwein trifft es.«
»Da möchte ich nicht mit dir tauschen, Hank.«
»Niemand mag Henker. Weiß ich selber«, Hank fing an, zu lallen. Der viele Alkohol begann zu wirken.
Ich hatte genug gehört.

Drei Tage später: Die ganze Geschichte in der Zeitung

02.40. Auf dem Strip.
Ich verabschiedete mich von ihm und spazierte nachdenklich zurück ins Hotel.
»Wie war der Abend, Señor Hirsch?«, begrüßte mich Fernando, der noch wach war.
»Ging so«, antwortete ich ihm geistesabwesend. In dieser Nacht träumte ich schlecht. So schnell würde ich das Sapphire nicht mehr betreten.

Drei Tage später las ich in der Las Vegas Sun folgenden Artikel: Zeugen der Hinrichtung des Highway Killers im Ely State Prison berichteten, wie der Verurteilte nach der Injektion minutenlang verzweifelt nach Luft rang und fürchterliche Grimassen schnitt. Es dauerte über eine halbe Stunde, bis er medizinisch tot war.

Ob Hank noch Restalkohol im Blut gehabt hat, als er auf den Knopf drückte, ging es mir durch den Kopf.
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Hank kann man auch in diesen zwei Geschichten begegnen:
Spinnen unter der Haut
Letzte Ausfahrt Salzwüste
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Bild von tookapic auf Pixabay

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern.

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