Auf der Wiese der getrockneten Tränen (1)

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Ich liege mit ner alten Freundin im Bett, die ich viele Jahre nicht gesehen habe. Sie meint, ich hätte ne Menge Zeit mit der Sauferei vertrödelt und sei früher ein besserer Liebhaber gewesen. Ich stimme ihr zu, weil ich keinen Bock auf eine Diskussion habe.

»Das war galaktisch!« Sie krallte ihre Nägel in meine Hüften und seufzte tief.
»Ja, war es.« Ich schloss die Augen und genoss den Augenblick.
Birgit saß breitbeinig auf mir und stöhnte: »Gleich noch einmal, bitte!«

Im Bett der alten Freundin

Das Zimmer war dasselbe wie vor fünf Jahren, als ich das letzte Mal mit ihr geschlafen hatte. Ein großes Bett mit zwei Matratzen. Die Fuge in der Mitte ein Quell nicht enden wollender Monologe der Hausherrin: »Warum habe ich mir von dem durchtriebenen Verkäufer bloß dieses Teil andrehen lassen? Beim nächsten Mal lasse ich mich auf keinen Fall beschwatzen. Die Ritze ärgert mich gewaltig.«

An der Wand ein paar Aktfotos. Birgit in vielerlei neckischen Posen. Hübsch anzuschauen. Allerdings schon etwas älteren Datums. Ich kannte die Aufnahmen allesamt. Ein neues Foto in goldenem Rahmen fiel mir auf. Ein Mann Ende vierzig in Anzug und Krawatte. Aufgrund der Wichtigkeit, die sein Gesichtsausdruck ausstrahlte, vermutlich Prokurist in einer Genossenschaftsbank.

»Wer ist der Typ, der schräg links über deinem prallen Arsch hängt?«, fragte ich und gähnte, weil es spät geworden war.
»Das ist Benno.«
»Der Kerl, für den du mich damals verlassen hast?«
»Nein, das war Malte. Eine totale Niete im Bett.«
»Und Benno ist sein Nachfolger?«
»Nein, zwischendurch gab es noch Bernd. Ein Arzt aus Berlin.«
»Warum hast du dich von dem getrennt?« Ich wusste gar nicht, weshalb ich das in Erfahrung bringen wollte. So richtig interessierte es mich nicht.

»Ich kam mit dem Sohn nicht zurecht. Ein verwöhnter und hinterhältiger Junge. Ich habe monatelang versucht, mit dem Früchtchen klarzukommen. Daraufhin habe ich Bernd vor die Alternative gestellt: entweder der Bengel oder ich.«
»Und dann hat er sich für den Sohn entschieden?«
»Korrekt. Wie kommst du darauf?« Birgit musterte mich argwöhnisch.
»Einfach ins Blaue hinein geraten«, nuschelte ich schlaftrunken. »Und Benno: Was macht der?«
»Der ist ein hohes Tier in einer Krankenversicherung. Eine Stufe unter dem Vorstand.«
»Das ist ordentlich«
»Kannst du wohl sagen. Finanziell gesehen ein absoluter Glücksgriff. Er ist allerdings ein bisschen geizig.« Das war eine der Todsünden, die meine frühere Freundin überhaupt nicht leiden konnte.

Partner recherchieren wie Schuhe kaufen

»Du kannst nicht alles haben, Birgit. Wo gabelst du die Männer immer auf?«
»In einer Partnervermittlung im Internet. Tolle Sache.« Ihre Augen strahlten.
»Und das funktioniert?«
»Siehst du doch. Du musst natürlich eine seriöse Plattform auswählen. Für 49 Euro im Monat garantiert der Anbieter handgeprüfte Adressen von Akademikern mit Jahreseinkommen ab 200.000 aufwärts. Jeder Teilnehmer füllt bei der Registrierung einen langen und sehr detaillierten Fragebogen aus. Dann erhältst du täglich zehn Vorschläge, die mit deinem Profil matchen.«
»Hört sich spannend an.«
»Ein schöner Zeitvertreib. Ich vergleiche es gerne mit Schuhe kaufen.«
»Und welches Paar Schuhe hast du für mich vorgesehen, Birgit?« Ich nahm aus alter Gewohnheit ihre linke Brustwarze zwischen die Lippen und saugte daran.
»Aua, das tut weh, du grober Kerl.« Sie fauchte wie ein kleines Raubtier.
»Früher warst du weniger empfindlich.«
»Früher, früher …«, äffte sie mich nach. »Früher hattest du keine kratzenden Bartstoppeln und warst geschmeidiger im Bett. Heute liegst du faul unten, lässt dich bedienen und mich die ganze Arbeit machen.«

Katzenartig sprang sie auf und lief ins Bad. Ich bemerkte, dass ihre Pobacken etwas hingen und sich auf der Rückseite der Oberschenkel eine leichte Orangenhaut gebildet hatte. Als Birgit zurückkehrte, hatte sie einen Lady Shaver mitgebracht, setzte sich mit gespreizten Beinen mir gegenüber und begann sich zu rasieren.

»Na, törnt dich das an, alter Mann?«
»Geht so. Bin todmüde.«
»Nicht mehr viel los mit dir. Als wir uns kennenlernten, warst du ganz wild darauf, mir dabei zu helfen.«
»Das ist ne Zeit lang her.«
»Susanne sagt, dass sie dich in deiner harten Phase ab und an hinter dem Bahnhof gesehen hat. Auf dem Friedensplatz; da wo die Fernbusse abfahren. Jedes Mal mit einer Pulle Rotwein oder Schnaps in der Hand. Stimmt das?«
»Kann sein«, antwortete ich ausweichend.
»Ja oder nein?«
»Ja.«

»Wie viele Jahre du mit deiner Sauferei vertrödelt hast. Unglaublich.« Birgit tunkte einen kleinen Pinsel in ein braunes Fläschchen und lackierte die Fußnägel in einem dunklen Rot.
»Schon möglich.«
»Musst dich nicht wundern, dass ich dich damals abgeschossen habe. An dem Nachmittag, als du betrunken wie ein nasser Sack auf meinem Sofa lagst, begriff ich schlagartig, dass es höchste Zeit wurde, die Reißleine zu ziehen. Leuchtet dir das ein?«
»Ja, du hattest damals recht und hast vernünftig gehandelt.«
»Das will ich meinen. Ich hatte genug eigene Sorgen und wollte mir kein neues Problem ans Bein binden.« Biegsam wie eh und je beugte sie sich nach vorne und hauchte auf ihre Zehen, damit die Farbe schneller trocknete.

Zeit vertrödelt und heute kein guter Liebhaber mehr

»Kann ich voll und ganz verstehen.«
»Weiß auch nicht, was mich reitet, dir eine neue Chance zu geben. Wahrscheinlich ein Anflug von Wehmut, wenn ich an die schöne gemeinsame Zeit, zurückdenke. Nütz meine Naivität bloß nicht aus. Ich bin manchmal viel zu gutgläubig.« Sie nahm einen tiefen Schluck aus der Sektflasche, die sie vom Abendessen mit in ihr Zimmer genommen hatte.
»Die Warmherzigkeit war immer schon deine Achillesferse, Birgit.«

»Möchtest du ein weiteres Mal mit mir schlafen? Wir haben noch bis 9 Uhr Zeit. Dann musst du dich unauffällig verkrümeln, weil zwei Kolleginnen auf einen Kaffee vorbeikommen. Die brauchen nicht zu erfahren, dass du wieder in der Stadt bist.« Birgit stellte den Radiowecker auf 6h.

»Wo ist eigentlich dieser Benno?«
»Der wohnt während der Woche in Hamburg. Das ist praktisch, weil ich dann eine sturmfreie Bude habe. Du profitierst davon, dass ich die Dinge vorausschauend plane. Als du hier ein- und ausgingst wie in einem Hotel, hast du dich gerne über mein Organisationstalent lustig gemacht. Jetzt bist du der Nutznießer.« Sie grinste mich verschwörerisch an.
»Daran hatte ich überhaupt nicht gedacht. Wie dumm von mir.«
»Was ist: ein neuer Durchgang oder nicht? Früher musste ich dich nicht zweimal bitten, mit mir zu vögeln.«
»Lass gut sein. Wir liegen seit Stunden zusammen in der Kiste. Ich bin erschöpft.«
»Susanne hatte mich bereits vorgewarnt: mit euch Pennern ist im Bett nicht viel los. Der Alkohol zehrt an der Libido.« Birgit schaute mich spöttisch an. »Was ist los? Warum ziehst du dich an?«

»Ich vertrete mir kurz die Beine. Brauche ein bisschen Bewegung.«
»Du bist ein komischer Typ geworden. Noch verträumter als damals. Manchmal habe ich den Eindruck, dass du in Gedanken ganz woanders bist. Lass dich bei Gelegenheit vom Arzt durchchecken, ob alles mit dir in Ordnung ist. Du gefällst mir nicht.«
»Werde ich tun. Promise.«
»Nimm bitte die kleine Tür im Garten. Möchte nicht, dass die Nachbarn sehen, dass ich Besuch habe. Die sind superneugierig.«
»Klar.«
»Um sieben Uhr gibt es Frühstück. Bummele also nicht stundenlang rum.«
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Hier geht’s morgen zu Teil 2.

Bild von CoxinhaFotos auf Pixabay

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern.

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