Backwerk

You are currently viewing Backwerk

Erst wird der Kaffee im falschen Becher serviert, dann fährt der Zug falsch herum … zufällige Begegnung mit einem Typ, dessen Frau nie zufrieden ist.

Samstagabend … eine Discount-Bäckerei Im Berliner HBF
»Was darf ich Ihnen geben?«
»Geld«, sagt sie und lächelt. »Oder haben Sie was anderes Interessantes, womit Sie bezahlen möchten?«
»Liebe?«
»Kann ick mir nüscht von koofen.« Jetzt lacht sie sogar.
»Stimmt. Also: wie viel?«
»4.79.«

Ich gebe ihr fünf und schaue mich nach einem Platz um, weil ich das Puten-Orangencurry-Sandwich in Ruhe essen möchte, ohne dass mir die fettige Soße auf die Hose tropft.

Kleiner Kaffee im (zu) großen Becher

»Haben Sie nur großen Kaffee, keinen kleinen?« Der mittelgroße Mann hinter mir mit den tausend Falten im Gesicht redet eine Spur zu schnell. So als ob er gehetzt wird.
»Es gibt auch kleine«, antwortet die Kassiererin.
»Aber nur große Becher«, bellt der Kerl.
»Dann schütten Sie den kleinen Kaffee doch einfach in den großen Becher.« Sie bleibt geduldig.

»Was haben Sie denn für einen Kaffee?, fragt er mich.
»Keine Ahnung.«
»Sie müssen doch wissen, was Sie bestellt haben.« Der schmal gebaute Typ lässt nicht locker.
»Ich habe mir einen Becher genommen und auf den Kaffeeknopf gedrückt.«
»Und wie viel dafür bezahlt?«
»5 Euro.«
»Das sind ja zwei mehr, als der große Kaffee kostet??«

»Der Herr hat einen kleinen Kaffee und ein Sandwich bekommen«, klärt die Verkäuferin das Faltengesicht auf.
»Also hatte er einen kleinen Kaffee in einem großen Becher … richtig?«
»Richtig«. Ihre Stimme klingt nun leicht genervt. Er scheint es nicht zu bemerken. Mir fällt es auf.

Ich setze mich auf einen Hocker und beiße herzhaft in das Puten-Curry-Brötchen. Neben mir eine 50-jährige Frau, die ungeduldig mit den Fingern auf die Tischplatte trommelt. Ich drehe ihr den Rücken zu.

»Schatz, ich habe uns zwei kleine Kaffee besorgt.«
Der Typ taucht schon wieder hinter mir auf. Die beiden gehören zusammen.
»Das sind aber große Becher.«
»Ja, du hast völlig Recht. Drin ist aber ein kleiner.«
»Warum im falschen Becher?«
»Kleine sind im Moment nicht vorrätig. Habe mich bei der Kassiererin erkundigt.«
»Komischer Laden, in dem kleiner Kaffee in zu großen Bechern angeboten wird. Ich wollte von Anfang an nicht hier rein.«

»Ich habe für dich Milch und Zucker reingerührt.«
»Milch??«
»Die nimmst du doch immer.« Er stellt sich auf die Zehenspitzen, als er diesen Satz sagt.
»Zu Hause und in gepflegten Restaurants: ja. Aber doch nicht in einer Kaschemme wie dieser. Was weiß ich, wer die offene Flasche mit seinen dreckigen Fingern schon alles angepackt hat. Igitt! … und Zucker: wie viel?«
»Ein halbes Päckchen. So wie du es magst … soll ich den Kaffee vielleicht umtauschen?«
»Nein, das dauert zu lange. Unser Zug geht gleich.«

Ich bin fertig mit dem Putensandwich, nehme meinen Kaffeebecher in die linke Hand, mit der rechten ziehe ich den Rollkoffer hinter mir her und verlasse das Backwerk.

Lokführer, die nicht streiken und ein Zug, der in die falsche Richtung fährt

Gleis 13 … ich stehe unter der großen Anzeigetafel, auf der die Abfahrtszeiten aufblinken, lege den Kopf ins Genick und betrachte stumm die riesige Glaskuppel. Der Bahnhof ähnelt einer transparenten Kathedrale. Ich genieße das Gefühl, alleine inmitten zehntausend mir unbekannter Menschen zu sein.

»Fährt der ICE nach Köln um 18.47 hier ab?« Der faltige Mann aus dem Backwerk ist mir gefolgt. Der Rücken ist für sein Alter zu krumm. Die Schultern hängen leicht nach vorne.
»Ja.«
»Sind Sie sicher?«
»Schau’n Sie auf die Tafel: da können Sie es selbst lesen.«
»Und wenn die Lokführer heute Abend streiken?«
»Sieht nicht danach aus.«
»Die Piloten streiken andauernd. … wir kommen gerade vom Flughafen. Dort herrscht ein unbeschreibliches Durcheinander. Das können Sie sich gar nicht vorstellen.«
»Aber sie tun es an unterschiedlichen Tagen. Nie gemeinsam mit den Lokführern.«
»Das wissen Sie genau?«
»Nein.«

Er starrt mich aus grauen Augen prüfend von der Seite an, und ich blicke zwei Sekunden lang in ein unterjochtes Gesicht. Dann nestelt der Mann ein altes Handy aus seiner Jackettasche heraus: »Schatz, der Zug nach Köln fährt pünktlich um 18.47 auf Gleis 13 ab … ob die Lokführer heute streiken? … nein, sie machen es nie am selben Tag wie die Piloten … ob ich mir sicher bin? … ja!« Er grinst mir verschwörerisch zu.

Ich marschiere wortlos fünfzig Meter weiter, denn ich neige hin und wieder dazu, ausufernde Unterhaltungen abrupt abzubrechen. Ein zahnloser Penner haut mich an: »Hast du zwei Euro für mich?« Ich gebe ihm 50 Cent. Er nimmt das Geldstück, lässt es in seine Hosentasche gleiten, spuckt auf den Boden, schimpft: »Du alter Kapitalistenhurensohn«, humpelt weiter und durchforstet den nächsten Papierkorb nach Pfandflaschen.

Der ICE stoppt mit quietschendem Geräusch, ich steige ein und suche mir einen Platz an einem 4er- Tisch, um dort ungestört zu lesen und zu schreiben. Drei Gedichtbände von Bukowski müssen für viereinhalb Stunden reichen. Ich bin leicht schläfrig,
denn die beiden letzten Nächte in Berlin waren lang.

»Ich möchte nicht gegen die Fahrtrichtung sitzen … ist das überhaupt Nummer 76? Ich will mit 75 tauschen.«
Das Paar aus dem Backwerk hat direkt neben mir reserviert. Er zwinkert mir zu; begrüßt mich wie einen alten Bekannten. Ich sammele die Bukowskibände ein, schnappe meinen Mantel, nuschele: »Ich habe mich im Waggon geirrt, stehe auf und gehe in Richtung Bordrestaurant. Dort bestelle ich einen Kaffee, der in Zügen immer zu stark und verbrannt schmeckt. Früher wäre es ein Bier gewesen.

Bild von Pixaline auf Pixabay

 

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern.

Schreibe einen Kommentar