Hooligans am HBF (2)

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Vier Tage später treffe ich Reinhold in der Geschlossenen wieder und werde Zeuge eines Gesprächs, in dem er was von ner Menge Bullerei und einem schiefgegangenen Brückensprung mit Beinahe-Todesfolge erzählt.

Die Situation verbesserte sich, als Ömer und sein Sohn Rasim mich unter ihre Fittiche nahmen. Ich begleitete Rasim zu seinem Training in unserem Bezirksboxverein. Nichts Besonderes. Die Turnhalle einer Hauptschule. Dreißig Jugendliche mit unterschiedlichem Körperbau und Gewicht. Ein älterer Boxer als Coach. Und dann ein knüppelhartes Programm. Ich war nach neunzig Minuten vollkommen durchgeschwitzt. Klatschnass bis in die Unterhose hinein. Ich blieb dabei. Wenn ich von nun an mit dicker Lippe oder blutig nach Hause kam, dann rührte das vom Sparring oder von Wettkämpfen her. Seit diesem Tag machten die Hooligans einen Bogen um mich. Mit Rasims Clique wollten sie sich lieber nicht anlegen.

Ich werde Zeuge eines Gesprächs, dessen Inhalt ich nicht richtig einsortieren kann

Entzugsklinik. Donnerstagnachmittag. 15.24. Raucherzimmer. Gespräch zwischen Reinhold und Oleg.

»Reinhold, glaubst du, der quatscht?«
»Weiß nicht. Wir haben ihn ja ganz schön in die Mangel genommen. Vielleicht haben wir ihn genug eingeschüchtert.«
»Und wenn der sich einen Anwalt nimmt?«
»Na und. Dann statten wir dem Rechtsverdreher halt einen Besuch ab. Wäre ja nicht das erste Mal.«
»Du betrachtest das zu optimistisch, Reinhold. Wir sind wahrscheinlich zu weit gegangen. Das hätte nicht passieren dürfen. Und dann noch auf der Brücke.«
»Mach dir jetzt bloß nicht ins Hemd. Bleib locker. Das klappt. Wirst schon sehen.«
»Wenn du meinst.«
»Verlass dich auf mich, Oleg. Ich mache jetzt völlig entspannt meinen Entzug. Sitze gemütlich die zehn Tage ab. Haue mir die Wampe voll und lasse Gott einen guten Mann sein.«
»Hast Recht. Ist wahrscheinlich das Vernünftigste.«
»Endlich kapierst du es, Oleg. Und jetzt lass uns aufhören mit dem Thema. Dahinten in der Ecke sitzt der bekloppte Henning. Bei dem weißt du nie so genau, wo du gerade dran bist. Glotzt immer in dasselbe Buch. Handelt von irgendeinem ägyptischen Arzt. Sinuhe oder so ähnlich. Wahrscheinlich ist er Analphabet und tut nur so, als ob er liest. Hoffentlich hat er uns nicht belauscht.«

»Hi Henning. So treffen wir uns wieder. Siehst erholter aus als noch vor ein paar Tagen am Bahnhof. Wie geht’s denn so?«
»Das Schlimmste ist überstanden. Bekomme noch ein paar Pillen. Am Wochenende habe ich meinen Nulltag. Danach kann ich wieder raus.«
»Bist aber noch ein bisschen wackelig; oder?«
»Kunststück nach vier Wochen Dauersaufen. Mir ist am Montag das Tablett mit dem Abendessen aus der Hand gesprungen. An die Wand geknallt. Hab’s nicht geschafft, es festzuhalten.«
»Ja, kenne ich. Passiert jedem von uns. So lange du keine Gespräche mit Verstorbenen führst, ist es noch im grünen Bereich.«
»Oder Besuch von Außerirdischen bekommst, die dein Zimmer als Basisstation benötigen, um die Menschheit auszurotten.«
»Ich erinnere mich. Ist Boris passiert. Der hatte es aber auch übertrieben.«
»Mich musste Jana zwei Tage lang füttern. Ich konnte weder Messer noch Gabel festhalten. War echt nett von ihr.«
»Ja, die ist wirklich in Ordnung. Hoffe, dass ich der in unserer Säuferhölle wieder begegne. Der würde ich gerne mal an die Wäsche.«
»Da sag‘ ste was, Reinhold. Aber ob das mit Jana im Jenseits einfacher funktionieren wird?«

In der Zeitung steht alles drin, was ich wissen muss

Mein Appartement. Acht Wochen später. Mittwoch. Vormittag. 10.17.
Vor einer Viertelstunde hatte ich mir die Tagesnachrichten besorgt. Hin und wieder las ich die gerne. Auf der anderen Straßenseite aus einem Briefkasten geangelt. Ich vertrat die Auffassung, dass Zeitungen, die bis zehn Uhr nicht abgeholt worden waren, als quasi herrenloses Gut der Allgemeinheit zur Verfügung standen. Wie immer startete ich mit dem Sportteil. Der FC zog in Erwägung, den Trainer zu wechseln. Sollten sie die Pfeife in die Wüste schicken. Die Mannschaft verlor ein Spiel nach dem anderen. Es war ein Graus. Den Politikteil übersprang ich. Immer dasselbe. Revolutionen in Arabien, iranische Atomprogramme, ein Tsunami vor Japan, Politiker, die ihre Bonusmeilen falsch abrechneten.
Alles schon tausend Mal gehört. War langweilig. Auf der Panoramaseite ein ganz unterhaltsamer Text über den angestiegenen Botoxverbrauch in Kalifornien. Leider ohne Bilder. Gähnend blätterte ich weiter bis zu den Lokalnachrichten. Dort stolperte ich über einen kleinen Artikel:

Nordbrücke: Schläger auf Bewährung frei. Betrunkene verprügelten Passanten an Haltestelle – Zeugen mit Erinnerungslücken.

Mein Interesse war geweckt. Ich las weiter:

Keine Strafe für vier brutale Hooligans. Nachdem sie sich auf den Rheinwiesen eine Massenprügelei mit Schalkefans geliefert hatten, schlugen sie auf der Nordbrücke grundlos einen wildfremden Mann zusammen. Um sich zu retten, sprang das Opfer in den Fluss. Ein zu Hilfe eilender Passant alarmierte Polizei und Rettungsdienst.

Da sich die Zeugen vor Gericht entweder nicht mehr an den Tathergang erinnern konnten oder sich in große Widersprüche verwickelten, blieb dem Richter nichts anderes übrig, als das Verfahren ergebnislos einzustellen. Die Schläger sind wieder auf freiem Fuß. Die Staatsanwaltschaft kündigte umgehend Revision an. Wurden die Zeugen eventuell eingeschüchtert?

Der Haupttäter, ein circa vierzigjähriger, mehrfach vorbestrafter, gerichtsbekannter Mann, grinste permanent während des Verfahrens, lutschte an einem Kaugummi und unterhielt sich lautstark mit den anderen Angeklagten.

Reinhold, Du Drecksack. Das war also der Inhalt deines Gesprächs vor zwei Monaten mit Oleg; jetzt verstand ich den Zusammenhang. Sollte ich zu den Bullen gehen und dort eine Aussage machen? Ein paar Monate Knast wären für den üblen Hooligan ja gar nicht verkehrt gewesen. Aber, wozu hätte ich das tun sollen? Um der höheren Gerechtigkeit zu dienen? An die glaubte ich nicht. Um dem Opfer zu helfen? Weshalb? Ich kannte den Typen überhaupt nicht. Er hatte überlebt. Hätte schlimmer für ihn ausgehen können. Um Reinhold eins auszuwischen? Damit der mich dann bei unserem nächsten Treffen vor dem Bahnhof zusammen mit seinen Kumpels halbtot schlug?

Ne danke. Ich hatte auch so schon genügend andere Probleme am Hals.

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Bild von Christian Dorn auf Pixabay 

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern.

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