Der blutbespritzte Kalabrese (1)

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Ich sitze morgens um 5 Uhr mit meinem Stiefvater Sentenza in nem ziemlich verwaisten Nachtlokal, neben uns hängt Pink Nose Fred tot überm Stuhl, ich fühle mich leicht elend und überlege, ob der Job des Kopfgeldjägers für mich wirklich der richtige ist. 

Aus der Jugend von Hank C.

»Wie viele Kerle hast du um die Ecke gebracht, seitdem wir uns kennen, Sentenza?«
»Korea miteingerechnet oder rein beruflich bei uns in den Staaten?«

Der Mann, den meine Mutter vor zehn Jahren aus der spontanen Gefühlsaufwallung eines romantischen Augenblicks heraus geheiratet hatte, jonglierte geschickt mit drei taubeneigroßen Eiswürfeln, während er sich mit seinem Kumpel Gennaro Fantino über die glorreichen alten Zeiten im Fernen Osten und ihre Jugendstreiche in der New Yorker Lower Eastside unterhielt.

Korea-Geschichten und Kerben im Colt

»Die alten Schlitzaugenstories interessieren mich nicht. Nur die Männer, denen du hier auf den Fersen warst.«

Der grauhaarige kalabresische Kopfgeldjäger stieß sein Klappmesser in den Boden einer Zwölf- Unzen-Dose Heinecken und lenkte den ungestüm heraussprudelnden Bierstrahl zielgenau in seinen weit geöffneten Mund.

»Das müsste heute der Siebenunddreißigste gewesen sein. Wenn ich sie alle richtig durchgezählt habe. Im Lauf der Jahre vergisst man den ein oder anderen Galgenvogel schon mal.«
»Da sagst du was. Ich tue mich ebenfalls schwer, mir die Gesichter alle zu merken. Ich glaube, der da hinten war Nummer neunundvierzig. Fehlt mir also noch einer bis zum Fünfziger-Jubiläum. Nunziatina führt zu Hause penibel Buch darüber. Die macht auch das Inkasso, falls ein Auftraggeber nicht pünktlich bezahlt.«
»Du hast es gut. Meine Alte lässt mich zwei Tage nicht ins Schlafzimmer, wenn ich einen Job erledigt habe. Sie meint dann, ich würde nach fremden Blut stinken und ekelt sich vor mir.«
»Aber die Kohle akzeptiert sie.«
»Natürlich.«

Während Ex-Corporal Angel Eye Sentenza und sein Sergeant Gennaro Fantino morgens um sechs am menschenleeren Tresen von Mighty Florence‘ Bar über ihre lange zurückliegende gemeinsame Armeezeit plauderten und in diesem Zusammenhang ebenfalls nostalgische Vergleiche von palermischer Cassata, die meine Mutter an hohen Feiertagen für ihren sizilianischen Gatten buk, mit Torta di Mandorle aus Cosenza anstellten und sich dabei wehmütig ihrer verstorbenen Mütter erinnerten, hing Pink Nose Fred mit violett angelaufener Zunge und seitlich zur Schulter gekipptem Kopf auf einem von Motten zerfressenen Sitzkissen; die Finger der linken Hand noch gierig ausgestreckt nach einem Whiskey Sour, den er jedoch niemals erreichte, weil ihn vorher eine Kugel aus dem Colt M1911 meines Stiefvaters im rechten Auge erwischt hatte.

Pink Nose Fred hängt tot überm Stuhl

Dort, wo vorher noch eine blaue Iris strahlte, klaffte nun ein grauschwarzes Loch in der Größe einer halbierten Billardkugel. Fred, der vor kaum dreißig Minuten noch mit Big Boobs Betty gescherzt, gut gelaunt einen Bourbon nach dem anderen in sich hineingekippt und den drallen Hintern der Kellnerin lüstern befummelt hatte, klemmte nun blutverschmiert in einem von Holzwürmern angenagten Eichenstuhl, während ein gutes Dutzend grüner Schmeißfliegen seinen schweißglänzenden kahlen Schädel umkreisten. In der Eile des Gefechts hatte sich sein billiges Kaufhaustoupet aus der Verankerung gelöst und ruhte nun traurig in sich zusammengefallen vor ihm auf dem Tisch, eingerahmt von einer umgestürzten Flasche Jack Daniel‘s und einer Tüte leicht gesalzener Erdnüsse.

Sein Pech bestand von Anfang an darin, dass die Staatsanwaltschaft in Phoenix für seine Ergreifung dieselbe Summe sowohl für Dead als auch Alive ausgesetzt hatte. In diesem Fall machten sich Profis wie Sentenza und Sergeant Fantino nicht die Mühe, den Gejagten erst umständlich von der Sinnhaftigkeit seiner Ergreifung zu überzeugen. Entweder ergab sich der Gesuchte binnen Sekunden seinen Verfolgern, oder ein schneller Schuss erledigte den Rest. Da Fred zudem mit einer geradezu panikartigen Bewegung in der Innenseite seines Jacketts nach einer Beretta 92 gesucht hatte, schossen mein Stiefvater und sein Begleiter in purer Notwehr auf ihn. Die Beweislast lag beim Opfer, das – weil es mausetot war und bereits seit einigen Stunden entweder in der Kühlkammer des Leichenschauhauses oder auf dem Seziertisch eines Gerichtsmediziners lag – praktischerweise keine sachdienliche Aussage mehr treffen konnte.

Ich nuckelte derweil an meiner lauwarmen Cherry Coke und überlegte, ob mir diese Art von Arbeit Spaß bereiten würde. Mom hatte mir mehrmals aufgetragen, mich im heimischen Memphis bei dem nach dem Krieg aus Nürnberg eingewanderten Karl Bachmeier für eine Ausbildung zum Konditor zu bewerben. Sentenza hingegen meinte, dass dies ein Beruf für effeminierte Schwuchteln sei und meine adipösen Tendenzen noch verstärken würde. Bei diesem Thema gerieten die beiden häufig in Streit, der damit endete, dass Mutter weinend in die Küche lief und ihr mein Stiefvater ein böses ‚Deutsche Nazischlampe‘ hinterherschleuderte.

Bin ich zu weich für den Job des Kopfgeldjägers?

»Wie läuft’s denn bei euch im Bett, Sentenza? Bist du noch der alte sizilianische Stier, oder ist die Luft mittlerweile raus bei dir?«

Ex-Sergeant Fantino blickte seinen Jugendfreund verschmitzt von der Seite an und schlug sich vergnügt mit der Innenseite der rechten Hand auf die Knöchel seiner linken Faust.

»Jetzt bloß keine Puffklamotten aus Korea vor dem Kleinen. Der bringt es fertig, mich bei seiner Mutter zu verpetzten. Und schon bin ich in Mezzo la Merda.«
»Was schleppst du den Trauerkloß auch mit dir rum? Meld ihn bei der Army an. Die machen einen Kerl aus ihm.« Der Kalabrese spuckte einen Rest schalen Bieres auf den Boden.
»Hank, gammel‘ nicht in der Nähe von Pink Nose Fred rum. Der ist schlechte Gesellschaft für dich. Stell dich lieber zu uns an die Bar.«

»Angel Eye, ich mag’s nicht, wenn du Sexgeschichten von dir und Mom zum Besten gibst.«
»Der Kleine ist ein Sensibelchen. Habe ich dir übrigens schon die Story erzählt, wie ich ihm bei unserem ersten Kennenlernen das Leben rettete, indem ich ihn aus den schmutzigen Fluten des Mississippi rausgezogen habe?«
»Mindestens zweihundert Mal, Sentenza. Du wirst alt und wiederholst dich. Überleg dir, ob der Job noch das richtige für dich ist. Sobald du zu langsam und zittrig wirst, liegst du quer über dem Pokertisch, und ich muss dich einsargen anstatt im Anschluss einen mit dir zu heben.«
»Bin dabei, meinen Stiefsohn anzulernen. Damit aus dem was Vernünftiges wird.«
»Den kleinen Fettsack? Das klappt nie und nimmer. Der ist zu dick und hüftsteif.« Fantino tippte sich mit drei Fingern an die Stirn und betrachtete seinen Kumpel wie einen senilen Idioten, dem er das Einmaleins der Kopfgeldjägerei beibringen musste.

Mighty Florence, die Schankwirtin des T.Rex Dancefloor Inn‘s, die wegen ihrer dichtbehaarten Arme und Beine von den Gästen hinter vorgehaltener Hand liebevoll Tarantula genannt wurde, hatte den beiden Bounty Huntern bisher schweigend zugehört.

Bei Schulden wird die Schankwirtin ungemütlich

»Sobald ihr zwei Großwildjäger ausgetrunken habt, schnappt ihr euch den Leichnam von Pink Nose, bevor dessen aufgequollener Körper in meinem Laden in Verwesung übergeht. Eure Drinks spendiere ich. Aber was ist mit den Schulden von Fred? Er hatte einen Deckel in Höhe von rund fünfhundert Dollar bei mir. Wer kommt für den auf?«
»Dein Problem, Schätzchen. Darfst du Typen wie den eben nicht anschreiben lassen. Gehört zu deinem Geschäftsrisiko.« Ex-Sergeant Fantino feixte in der Art eines Polizisten von der Sitte, der von der Bordellwirtin gerade eine Gratisnummer einforderte.
»Du südeuropäischer Pastaclown tickst wohl nicht ganz richtig. Spazierst hier in aller Seelenruhe mit deinem griesgrämigen Kollegen und dem rotznasigen Lümmel, der längst ins Bett gehört, in meinen Club rein, ballerst einen meiner Stammgäste über den Haufen, verursachst dabei einen Höllenspektakel und eine Riesensauerei und willst mir nun ernsthaft erklären, ich müsse für den Schaden, den du angerichtet hast, selber aufkommen? So haben wir nicht gewettet.«

Mit einer Behändigkeit, die ich Mighty Florence nicht zugetraut hatte, griff die Schankwirtin in eine Schublade an der Unterseite des Tresens, zog ein langes Fleischermesser heraus, drückte die feinpolierte Klinge fest an den leicht hervorstehenden Adamsapfel des Kalabresen und zischte:

»Fünfhundert in bar auf den Tisch oder ich trenne dir den Kopf mit einem Schnitt vom restlichen Rumpf. Auf eine Blutlache mehr oder weniger kommt es jetzt auch nicht mehr an.«

Mein Stiefvater setzte sein allerbreitestes Barrakudagrinsen auf und lachte: »Du solltest ihr den Gefallen tun. Die ist imstande und schächtet dich wie ein syrisches Opferlamm.«

Während sein Kumpel Fantino fluchend fünf grüne Riesen auf die glattpolierte Fläche der Theke zählte, lief im Hintergrund leise: Three times a lady von den Commodores.

Hier geht’s morgen zu Teil 2, in dem die Situation leicht außer Kontrolle gerät.
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Bild von Please Don’t sell My Artwork AS IS auf Pixabay

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern.

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