Der blutbespritzte Kalabrese (2)

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Als Big Boobs Betty beginnt, die Leiche von Pink Nose zu fleddern, gerät die Situation in Mighty Florence‘ Bar gegen 5.30 Uhr morgens leicht außer Kontrolle.

Tarantula befeuchtete drei Fingerkuppen ihrer rechten Hand und zählte die Scheine viermal durch. Daraufhin lächelte sie, legte das Metzgermesser zurück in die Schublade, zerriss vor unseren Augen den Schuldschein von Pink Nose und fragte mit sanfter Stimme: »Möchte einer der Herren noch einen Absacker nehmen, bevor ich den Laden schließe? Geht aufs Haus.«

Sentenzas ominöse Herkunft

»Für mich einen doppelten Rebel Yell. Müsste für die Kohle, die ich hingeblättert habe, drin sein; oder?«, grummelte Fantino noch etwas angefressen darüber, dass er soeben die Rechnung eines Toten begleichen musste.
»Genna, trink nicht so viel. Du hast vorhin schon danebengezielt, als wir Fred ins Visier nahmen. Das wäre dir früher nicht passiert.« Mein Stiefvater griff seinen Jugendfreund am Handgelenk. Der riss sich ungehalten los von ihm.
»Lass mich in Ruhe, du nachgemachter Sizilianer und spar dir die Weisheiten für deinen rothaarigen Bastard auf, der mir seit Tagen mit seiner mundfaulen Art auf den Nerven rumtrampelt.«

Mit dieser unfreundlichen Bemerkung spielte der Ex- Sergeant auf eine äußerst wunde Stelle im Lebenslauf meines Stiefvaters an: nämlich dessen dubiosen Stammbaum. Angel Eye versäumte keine Gelegenheit, seine Herkunft aus Palermo zu betonen und schreckte mitunter sogar vor gewagten Verwandtschaftsverhältnissen zur sagenumwobene Familie Riina aus Corleone nicht zurück. Dabei blieb er aber vernünftigerweise immer sehr unpräzise, so dass man ihn am folgenden Tag nicht darauf festnageln konnte. Unumstößliches Faktum blieb es jedoch, dass in Ex-Corporals Sentenzas Sozialversicherungskarte Spello als Geburtsort nachzulesen war. Eine Zwergkommune im nördlichen Umbrien, unmittelbar vor den Toren des benachbarten Assisi gelegen. Fantino, der als ehemaliger Vorgesetzter meines Stiefvaters dessen Akten natürlich kannte, ließ es sich nicht nehmen, seinen Jugendfreund hin und wieder mit dessen zweifelhafter Abstammung zu hänseln. Das gipfelte mitunter in Vergleichen mit dem heiligen Franz, von wo aus er nur noch ein Katzensprung bis zum kränkenden „Du Mädchen“ zu vollführen brauchte, bei dem Sentenza spätestens seine Beherrschung verlor und völlig ausrastete. Ich hatte im vergangenen Jahr auf einem Supermarktparkplatz in Denver erlebt, wie mein Stiefvater zwei an und für sich harmlose Strauchdiebe kommentarlos hinter ihrem silbergrauen Dodge Challenger schnurstracks liquidierte, als die sich kichernd Bemerkungen über die Kirchenväter zuraunten. In der Konsequenz verzichtete er obendrein auf die Kopfprämie, da diese einzig für Alive ausgelobt gewesen war. In dieser Sache verstand er Null Spaß. Einzig bei Fantino verkniff er sich den sofortigen Griff zum Revolver, aber eher aus Respekt vor dessen Heldentaten im Koreakrieg denn aus Einsicht in die Zweifelhaftigkeit seines sizilianischen Stammbaums.

»Du musst deinen Sohn hart rannehmen. Der wirkt auf mich wie ein Fußball, aus dem die Luft entwichen ist.«
»Würde ich liebend gerne tun, aber seine Mutter hätschelt ihn immer noch wie ein kleines Kind.«
»Dann prügele den beiden Vernunft ein. Du bist der Mann im Haus.«

Ich hasste den Kalabresen, der mich seit Antritt unserer gemeinsamen Dienstreise arrogant von oben herab behandelte, von ganzem Herzen. Hätte ihn in diesem Moment ein Aneurysma niedergestreckt, würde ich jubelnd die Arme zur nikotingelben Decke ausgestreckt haben.

Big Boobs‘ Leichenfledderei

Big Boobs Betty, die wegen ihrer wild wogenden – von keinem BH zu bremsenden – Brüste von den Gästen ebenfalls Triple B gerufen wurde, hatte sich mittlerweile umgezogen und war in den Schankraum zurückgekehrt. Der blutüberströmte Leichnam von Pink Nose Fred schien ihr keinerlei Kopfzerbrechen zu bereiten. Unterhalb des mit kleingeschmolzenen Eiswürfeln bedeckten Tischs lag Freds blaues Auge und strahlte längst nicht mehr so kräftig wie noch vor einer Stunde, als er gutgelaunt und bourbonselig die enormen Möpse der Kellnerin begrapscht hatte.

»Wer räumt die Schweinerei dahinten weg?«, erkundigte sie sich bei Mighty Florence und zündete eine goldgefasste Chesterfield an. Die Wirtin nickte mit dem Kopf stumm in Richtung Fantino. Der tat so, als ob er den Hinweis nicht verstanden hätte, schenkte sich selber ein neues Wasserglas voll mit Whiskey ein und kippte es mit einem einzigen Zug in seine gierige Kehle hinein. Big Boobs umkreiste derweil neugierig wie eine das Aas witternde Hyäne den langsam immer mehr in sich zusammensinkenden Körper von Fred, fingerte einen Handschuh aus ihrer Tasche heraus, streifte den über ihre rotlackierten Finger und tastete den blau angelaufenen Mann ab. »Du geiler Mistkerl musst doch ein paar Kröten eingesteckt haben, bevor du das Haus verlassen hast, um dich in unserem Schuppen volllaufen zu lassen.«

»Ey Kleiner, steh hier nicht blöde rum und halte Maulaffen feil! Hilf mir, den eingeklemmten Fettsack zu bewegen.« Ich tat, wie mir geheißen wurde und wuchtete die hundert Kilo von Fred in die Höhe. Triple B griff geschickt in die linke Gesäßtasche des bereits nach Zersetzung riechenden Toten hinein und beförderte mit einem glückserfüllten Lächeln eine prallgefüllte Brieftasche zutage. »Dreihundert Piepen, nicht so schlecht für sechs Uhr morgens«, prustete sie und schaute mich vergnügt an. »Hier sind fünfzig Mäuse für dich. Kauf dir ein paar anständige Klamotten dafür. Du läufst rum wie von Mami angezogen. In dem Outfit bekommst du nie ein Mädchen ab.«

Daraufhin inspizierte Betty die rotgesprenkelte Wand hinter Fred, entdeckte das an der Tapete klebende Haarteil und kratze es mit einem Löffel von dort ab. Sie hob es mit spitzen Fingern in die Höhe, schüttelte dabei einige kleinere Teile von Pink Noses Hypophyse, die sich im feinmaschigen Netz auf der Unterseite verfangen hatten, heraus und begutachtete ihren Fang. »Zweimal in die Waschmaschine, dann sieht es wieder aus wie neu. Wird sich Charly zuhause drüber freuen. Der hat sein Toupet letzte Woche irgendwo liegenlassen«, murmelte Big Boobs erfreut.

Die Situation gerät leicht außer Kontrolle

Fantino, der den Verlust der fünfhundert Bucks noch nicht verdaut hatte, bewegte sich nun bedrohlich schwankend auf Betty zu, packte diese von hinten an der Schulter und schrie: »Her mit der Kohle, du geldgieriges Luder! Das könnte dir so passen, die Ersparnisse meiner mühsam erlegten Beute einzuheimsen.« Triple B, an deren rechtem Unterarm noch die Handtasche baumelte, wirbelte mit gepardenartiger Geschwindigkeit herum und drosch das Utensil mit voller Wucht auf die Nase des Ex- Sergeants. Der wimmerte leise, zückte seine 9mm Luger und richtete die Waffe abwechselnd auf mich und Triple B’s weit in den Raum hineinragenden Busen. Mit einem fiesen Grinsen lallte er: »Den alten Fantino beklaut keiner. Wen von euch beiden soll ich zuerst ins Jenseits befördern?«

Im selben Augenblick peitschten in der zeitlichen Abfolge von wenigen Hunderstelsekunden drei Schüsse aus drei verschiedenen Winkeln des Lokals. Der Kalabrese blickte zuerst ungläubig auf ein faustgroßes Loch oberhalb seines Bauchnabels, griff sich dann an die zerfetzte Brust, bevor er unendlich sachte auf den mit Bierpfützen übersäten Boden sank, nahezu in Zeitlupe zentimeterweise nach unten glitt, wobei sich sein rechtes Auge verselbstständigte und wie eine braune Murmel neben die mittlerweile blassblaue Iris von Fred kullerte.

Mit vor Angst rasend schlagendem Herzen bemerkte ich die warme Beretta 92 von Pink Nose in meiner Hand. Wie war die dorthin gelangt? Ich hatte zum ersten Mal in meinem Leben auf einen Menschen geschossen. »Auf welche Weise regeln wir das Ganze, Ladies?«, erreichte mich wie durch eine Nebelwand hindurch aus weiter Ferne die Stimme Sentenzas. »Am vernünftigsten wäre es, wenn entweder der dicke Junge oder Big Boobs die Schuld auf sich nehmen. Sie hätten für mein Verständnis beide in Notwehr gehandelt. Mehr als fünf Jahre würden sie dem Kleinen hier bei uns in Arizona nicht aufbrummen. Die sind schnell abgesessen«, erwiderte Mighty Florence, während sie die rauchende Winchester im Schrank hinter sich verstaute.

»Wie soll ich das seiner Mutter in Memphis erklären?«, überlegte mein Stiefvater laut. »Zudem benötige ich nach dem überraschenden und nicht geplanten Weggang des Sergeants einen neuen Partner. Wir müssen uns eine andere Lösung einfallen lassen«, gab er mit sorgenvoller Miene zu bedenken.

Der grauhaarige Kalabrese lag derweil rücklings Bein an Bein mit Pink Nose, unterdessen sich die beiden Blutlachen allmählich miteinander vermischten.

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Und hier ab morgen zur Fortsetzung.
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Bild von mohamed Hassan auf Pixabay

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern.

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