Die beinah perfekte Frau für mich

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Ich will am Samstagmorgen trainieren, eine unbekannte Schöne lächelt mich an, ich überlege, wie ich sie ansprechen soll, zaudere und zaudere, und am Ende lässt mich eine Pfandflasche vor allem zurückschrecken. 

Samstagmorgen, fünf nach acht im Studio. Superfrüh. Keine Ahnung, weshalb ich am Wochenende so zeitig dorthin fahre. Kann nicht mehr länger als maximal bis sieben pennen. Egal, wie spät ich am Abend vorher ins Bett gehe. Leicht nervig.
Bin nicht der Erste. Schon einige Ehepaare aus der Nachbarschaft da. Die üblichen Unterhaltungen über noch offene Urlaubstage, Überstunden im Büro und die Ausbildung der Kinder. Interessiert mich alles nicht. Wo ist im Moment am wenigsten los? Bloß kein zu enger Kontakt mit Fremden. Danach steht mir der Sinn morgens gar nicht. Ich werfe mein Handtuch auf die Hantelbank und stemme Gewichte. Niemand redet mit mir. Gut.

Brennende Kniebeugen und ein Lächeln, das ich nicht einsortieren kann

»Schon hier?« Sascha, ein junger Trainer, taucht plötzlich neben mir auf.
»Ja.«
»Bist früh auf, oder?«
»Ja.«
»Kommst sicher alleine zurecht?«
»Ja.«

Er setzt seinen Rundgang fort und schlendert zu den Familienvätern, die in Gruppen um die Geräte herumstehen. Die haben viele Fragen an ihn.

Ich könnte mal wieder was für meine Beine tun. Betaste den Hintern. Der muss straffer werden. Werde mit einem Durchgang Kniebeugen starten. Als ich den Nachbarraum betrete, begegne ich ihr. Etwas unscharf, weil mir die Dinge morgens gerne verschwimmen. Schätzungsweise Anfang/ Mitte 40, einsachtundsiebzig, dunkle, perfekt frisierte Haare.
Habe sie noch nie gesehen. Ob sie das erste Mal hier ist? Sie lehnt an der Sprossenwand und lächelt in meine Richtung. Meint sie tatsächlich mich? Ich drehe mich um. Niemand hinter mir. Ich lächele zurück, gehe an ihr vorbei, packe ein paar Kilo auf die Stange und beginne mit den Kniebeugen. Während ich versuche, möglichst leise zu stöhnen, merke ich, wie ihr Blick auf meinem Rücken haftet. Bildest du dir bloß ein, sage ich zu mir. Sie ist verheiratet, und ihr Mann wird in spätestens zwei Minuten hier sein. Sie lässt sich wie eine Katze auf alle viere fallen und hebt abwechselnd langsam das linke und rechte Bein an. Schöner Arsch. Das weiß sie und will ihn mir zeigen.

Ich bleibe cool und lege zwei weitere Scheiben drauf. Registriere, wie mir der Schweiß in kleinen Bächen die Wirbelsäule runterläuft. Sie betrachtet derweil ihre Fingernägel. Warum sieht sie so verteufelt gut aus um diese Uhrzeit? Schminkt sie sich bereits um sechs? Ich fühle mich verknittert und faltig, als ob ich die Nacht durchgesoffen hätte. Bin ich überhaupt rasiert? Natürlich nicht. Scheiße! Deo habe ich aber aufgelegt? Beuge mich verstohlen zu meiner rechten Armbeuge. Ja, habe ich getan. Laufe kurz ins Bad. Spritze Wasser ins Gesicht, fahre mit der Hand durch die Haare, bürste mit dem Daumen meine Zähne. Im Spiegel stelle ich seufzend fest, dass die linke Schläfe noch grauer aussieht als die rechte. Gehe zurück in den Bereich mit den vielen Beinpressen. Sie ist immer noch da. Redet jetzt mit einer Freundin. Die kenne ich vom Sehen. Eine von denen, die das Studio mit einer Selbsthilfegruppe verwechselt. Quatscht mehr, als dass sie sich bewegt. Sieht man ihrer Figur auch an.

»Mein Chef lässt mich vierzig statt der vereinbarten achtunddreißig Stunden arbeiten«, jammert die Dicke.
»Dann musst du ihn dir erziehen.«

Die Fantasie geht kurz mit mir durch

Für den Bruchteil einer Sekunde stelle ich mir vor, wie sie mit einer Peitsche in der Hand vor mir steht und befiehlt: »Sink auf die Knie!« Schreckerfüllt reibe ich über meine Augen, und der Spuk löst sich im grellen Neonlicht sofort wieder auf. Ich setze mich auf die nächstbeste Maschine und tue so, als ob ich nichts höre.

»Wie viel Natrium ist in deinem Wasser drin?«
»40 Milligramm pro Liter.«
»Und Chlorid?«
»30.«
»Das ist viel.«

Was für ein langweiliges Thema. Mir fällt jetzt auf, dass die schwarzhaarige Schönheit nach jedem Trainingssatz – und sei er noch so kurz – eine exakt bemessene Menge Flüssigkeit trinkt. Vermutlich die in einem Fitnesshandbuch empfohlene Minutendosis. Tun ja viele der Mütter hier. Sie trägt Functional Wear. Nicht ganz so bunt wie ihre Bekannte mit den falsch eingehängten Beinen; aber trotzdem gefällt mir der Look nicht allzu sehr. Kleidung, die alle Körperflüssigkeit absorbiert, obwohl kaum einer je ins Schwitzen gerät. Hautenge dreiviertel Hosen für Frauen, die besser in weite Kleider schlüpfen sollten. Wenngleich die Dunkle es sich erlauben kann. Eine Figur wie von einem Künstler modelliert. Alles besitzt die richtige Größe, nichts hängt. Ihr Gesicht erinnert mich an die Delilah, so wie Caravaggio sie malte. Ich schwärme innerlich. Um mir Sex mit ihr vorzustellen, bin ich noch zu müde.

Meine Oberschenkel und Waden brennen. Werde noch zwanzig Minuten den Bauch trainieren und mich dann verkrümeln. Sie ist mit ihrer Freundin beschäftigt. Hat mich sicher schon vergessen. Im ersten Stock lasse ich mich auf eine Matte fallen und mache Sit-Ups. Überlege, ob ich gleich in die Stadt fahre, um in der großen Buchhandlung nach neuen Romanen Ausschau zu halten. Unvermittelt liegt sie auf einmal vis-à-vis. Schiebt ihr Becken rhythmisch in meine Richtung. Bilde dir bloß keine Schwachheiten ein. Sie hat zufälligerweise dasselbe Programm wie du, geht es mir durch den Kopf. Sie hebt das Kinn, schmunzelt mich an und nuckelt erneut an ihrer Flasche. Soll ich sie ansprechen? Und wenn sie doch verheiratet ist? Eventuell glücklich. Einfach nur gerne andere Männer anlächelt, ohne sich dabei was zu denken. Natürlich ist es so. Schöne Frauen haben immer einen Typen. Die sind nie alleine. Alles vergebliche Liebesmühe.

Die Pfandflasche gibt mir den Rest

Ich springe auf, nicke ihr freundlich zu und laufe nach unten. Fingere Sporttasche und Jacke aus dem engen Spind, marschiere nachdenklich zum Ausgang. Sie wäre es von der Optik her wirklich gewesen. So fantasiere ich mir die Wunschfrau zusammen. Von ihr träume ich. An sie richte ich meine Gedichte, die ich nie losschicke. Was soll’s, flüstere ich. Mir geht’s prima. Eine Partnerin würde mich nur einschränken, vielleicht sogar erziehen wollen. Ich genüge mir selbst. Schon fühle ich mich besser.

An der Rezeption steht sie. Wendet mir den Rücken zu. Trotzdem erkenne ich sie sofort. Das kann doch kein Zufall sein. Wartet sie auf mich? Sie redet mit Sascha. Der reicht ihr einen Stift. Will sie was aufschreiben? Ich stoppe; werde sie jetzt fragen, ob ich sie ein Stück im Auto mitnehmen kann. Das Herz klopft wie bei einem Teenager bis in die Schläfen. Ich fühle einen Kloß im Hals. In schöner Mädchenschrift malt sie ihren Namen, ich kann ihn lesen … auf das Etikett der Wasserflasche. Ich bekomme kein Wort heraus. In meinem Kopf wirbeln Bilder von Ex- Freundinnen herum, die Bücher und CDs mit ihrer Signatur versahen und zu mir sagten: »Wiedersehen macht Freude«. An all das habe ich keine guten Erinnerungen. Die Beziehungen endeten immer in einem Desaster. Ich grüße stumm, zwänge mich an den beiden vorbei, warte eine kleine Ewigkeit, bis sich das metallene Drehkreuz öffnet und mich passieren lässt. Im Flur atme ich tief durch. Meine Achseln sind klitschnass.

Als ich die Stufen nach unten auf den Parkplatz haste, werde ich unsicher, ob ich die Situation richtig eingeschätzt habe. Wollte sie tatsächlich die Plastikpulle markieren, damit ihr das Pfand nicht verlorengeht oder ging’s doch darum, mir einen Wink zu geben? Ich weiß es nicht. Mist!

Bild von Marta Cuesta auf Pixabay

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern.

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