Der blutbespritzte Kalabrese (3)

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Mighty Florence und Big Boobs komplizieren unseren Job, was meinem Stiefvater sehr missfällt. Deshalb fordert er mich auf, die Sache hier an Ort und Stelle ein für alle Mal zu erledigen.

»Ich werde auf keinen Fall irgendeine Form von Komplizenschaft auf mich nehmen«, schnaufte Triple B. »Als einzige hier im Raum halte ich keine Waffe in der Hand. Scheint mir logisch zu sein, dass ich als Täterin ausscheide.«
»Da hat sie recht«, pflichtete Mighty Florence ihrer Angestellten bei. »Bleiben also konsequenterweise nur noch wir drei übrig. Ich als Wirtin, die bald die Pensionsgrenze erreicht, verspüre keine Lust, die nächsten zwanzig Jahre im Knast zu verbringen, dort in einer kleinen Zelle zu verfaulen und auf dem Gefängnisfriedhof als zahnlose Mumie verbuddelt zu werden. Müssen wir uns eben auf einen von euch zwei humorlosen Galgenvögeln einigen. Ich schlage nach wie vor den kleinen Fettklops vor. Zum einen wird er mit ein paar läppischen Jahren davonkommen; zum anderen täten ihm etwas Bewegung und kalorienarme Kost sicherlich gut. Ein kurzer Aufenthalt im Knast hat noch niemandem geschadet.«

Wer von uns soll in den Knast gehen?

»Weshalb solltest du ungeschoren bleiben?«, erkundigte sich mein Stiefvater mit einem raubtierartigen Funkeln in den Augen.
»Weil ich die Cousine vom Sheriff bin und Stein und Bein schwören werde, dass ich mit der Sache nichts am Hut habe, sondern ganz im Gegenteil – allerdings erfolglos – versuchte, euch von dem Gemetzel abzuhalten. Big Boobs wird das sicher gerne bestätigen. Wem glaubst du, wird der Chief eher sein Vertrauen schenken: einer nahen Verwandten oder einem durchreisenden Todesengel?«
»Das leuchtet mir ein«, erwiderte Angel Eye. »Dann lass mich noch einen letzten Schluck an der Bar trinken und mit meinem Sohn ausknobeln, wer von uns beiden die Reise in die Hölle antreten muss.«

»Gerne, was darf’s sein?«
»Für mich einen Buffalo Trace, falls ihr so guten Stoff in diesem traurigen Schuppen überhaupt vorrätig haltet.«
»Und du, Kleiner?«
»Dasselbe.«
»Nichts da. Du bist noch keine einundzwanzig. Das hier ist ein anständiger Laden. An Kinder schenke ich keinen Alkohol aus.«
»Dann eben eine Vanilla Coke.«

Während Mighty Florence meine Cola aus dem Kühlschrank angelte, und Betty um Fantinos Leichnam herumschwirrte wie ein Moskito auf der Suche nach süßem Blut, kontrollierte Sentenza, ob die Rollläden der Nachtbar akkurat geschlossen waren. Dann wandte er sich mit einer engelsgleichen Stimme an die Wirtin und fragte: »Kannst du den aktuellen Hit von Donna Summer für mich auflegen? Ist einer meiner Lieblingssongs im Moment. Weiß nicht, ob ich den im Zuchthaus so oft zu hören bekomme.«
»Natürlich.«

Angel Eye trifft eine Entscheidung

Aus den Lautsprechern erschollen die ersten Takte von MacArthur Park: Spring was never waiting for us … Mein Stiefvater lächelte weiterhin, packte sich in aller Seelenruhe an den Bund seiner Hose, beförderte den Colt M1911 nach oben, schaukelte das Mordgerät einige Sekunden lang schweigend hin und her, bevor er über den Tresen kletterte, die Waffe der vor Angst erstarrten Wirtin an deren linke Schläfe hielt, ihr ein freundliches »Es wird nicht wehtun«, ins Ohr hauchte und im selben Augenblick abdrückte. Tarantula sackte mit einem gutturalen Röcheln in die Knie, bevor sie Beine und Arme wie bei einer Kreuzigung ausgestreckt mit der Nase voran auf die wurmstichigen Holzdielen plumpste. In der Art wie sie dalag, erinnerte sie mich an eine plattgedrückte Arachnide und bereitete so bis zum bitteren Ende hin ihrem Kosenamen alle Ehre.

Big Boobs hatte in der Zwischenzeit den Körper von Fantino um hundertachtzig Grad gedreht und klopfte Hose, Hemd und Jackett nach Bargeld und Kreditkarten ab. Vom Schuss hinter der Theke aufgeschreckt, hielt sie mit der Leichenfledderei inne und musterte Sentenza mit schreckgeweiteten Pupillen. Der beachtete die Kellnerin überhaupt nicht, sondern wandte sich freundlich an mich:

»Schnapp dir Gennaros Pistole und erledige den Rest. Und trödele nicht herum, sondern schau zu, dass wir zügig von hier wegkommen. Die Bullen werden sicher gleich hier sein.«
»Ich kann das nicht«, stotterte ich.
»Doch, du wirst die Angelegenheit hundertpro durchziehen.«
»Weshalb unbedingt ich?«
»Weil du ansonsten für Jahre in den Bau gehst. Willst du das?«
»Nein.«
»Also handele wie ein Mann und bring es hinter dich!«

Nun bin ich an der Reihe

Mein Stiefvater stand jetzt vis-à-vis und drückte mir die Luger seines Jugendfreunds in die Hand. »Tue es! Wir haben nicht ewig Zeit.« Dann machte er einen Schritt nach vorne, sodass ich seinen warmen Atem auf meiner Wange spürte.

»Bitte nicht«, flehte Betty. »Ihr könnt alles Geld mitnehmen. Ich brauche nichts davon.«
»Da, wo du nun hinwanderst, benötigst du ohnehin nur eine Münze für den Fährmann«, wisperte Angel Eye und schlug mir unvermittelt mit der linken Faust auf den Bizeps des rechten Oberarms. Die Nervenbahnen meines empfindlichen somatischen Systems leiteten den Impuls unverzüglich weiter an den Zeigefinger der Hand, woraufhin der reflexartig nach hinten zuckte, den gespannten Hahn des Revolvers berührte und den Zündmechanismus auslöste. Die Kugel durchstieß Big Boobs perlmuttweiße Stirn und dort, wo ich eben noch feine Schweißperlen erblickt hatte, konnte ich nun durch ihre geöffnete Schädeldecke hindurch die orangefarbene Tapete auf der gegenüberliegenden Seite des Raums erkennen.

Während die dralle Kellnerin schwerfällig mit dem Kinn auf Freds blutbefleckten Schoß fiel, schossen mir Tränen in die Augen. Als Angel Eye meinen Gefühlsausbruch bemerkte, reichte er mir ein Taschentuch:

»Putz dir die Nase! Ist heute vollkommen okay, dass du flennst. Ging mir beim ersten Auftrag in Brooklyn genauso. Danach gewöhnst du dich daran. Das Weinen macht dich menschlich, mein kleiner rothaariger Bastard. Erinnerst mich verdammt an deine Mutter … Jetzt lass uns aber fix das überall herumfliegende Geld einsammeln und Fred und Fantino in den Wagen schleppen, bevor ich rührselig werde.«
»Wozu denn das?«
»Weil auf Pink Nose eine Belohnung ausgesetzt ist, die wir nur dann einkassieren, wenn wir seinen Leichnam als Beweisstück im Police Department in Phoenix abliefern. Meinen alten Kumpel Genna möchte ich ungerne in diesem Drecksladen liegenlassen. Den transportiere ich zu seiner Familie nach Detroit. Den Gefallen bin ich ihm schuldig.«
»Und was passiert mit den zwei toten Ladies hier?«
»Intelligente Frage, Sohnemann. Hätte ich dir gar nicht zugetraut. Vielleicht wird ja doch noch ein ganzer Kerl aus dir. Ich kümmere mich darum.«

Jetzt fehlen nur noch neue Klamotten, damit ich als Kopfgeldjäger respektiert werde

Nachdem wir fünftausend Dollar aus der Kasse von Mighty Florence und dem zum Bersten gefüllten Portemonnaie Triple B‘s an uns genommen und die Körper der zwei übel zugerichteten Männer im Kofferraum unseres Buicks Electra verstaut hatten, kehrten wir ein letztes Mal in den Schankraum zurück. Sentenza verteilte vier Gallonen Benzin, die eigentlich als Notreserve für die Heimfahrt gedacht gewesen waren, über dem morschen Holzboden, zündete sich anschließend eine Lucky Strike an, zog dreimal an ihr und schnippte die glimmende Zigarette treffsicher auf den petroleumgetränkten Tresen. Binnen Sekunden züngelten kleine Flammen über die Theke, kurz darauf stand das gesamte Lokal in Flammen und brannte lichterloh.

»Mit diesem Arbeitsende hatten die beiden geldgeilen Schlampen vermutlich nicht gerechnet. Der Schnitter ist der ständige Begleiter von Huren und Killern«, philosophierte Angel Eye, während er den Wagen rückwärts ausparkte und gemächlich über den vom Morgentau nassglänzenden Asphalt der menschenleeren Stadt lenkte. In der Ferne vernahmen wir das rhythmische Heulen einer Sirene.

»Jetzt haben die braven Bürger von Flagstaff registriert, dass der Tod heute früh zu Besuch kam«, schmunzelte mein Stiefvater und beschleunigte den Buick auf der Interstate 10 bis auf siebzig Meilen. »Es ist ein langer Weg nach Michigan. Zeit genug, um dich in die Grundzüge der Menschenjagd einzuweihen.« Wortlos nickte ich, immer noch paralysiert von der Tat, die ich vor einer halben Stunde ausgeführt hatte. »In Amarillo stoppen wir und kaufen dir neue Klamotten. Die dicke Hure hatte völlig recht. Du bist angezogen wie ein Kleinkind. So läuft ein Bounty Hunter nicht rum.«
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Bild von Clker-Free-Vector-Images auf Pixabay

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern.

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