Die explodierte Wurstpelle

You are currently viewing Die explodierte Wurstpelle

Ich lieg mit ner Freundin im Bett, mir platzt die Vorhaut, wir fahren mitten in der Nacht in die Klinik, der Arzt hält mich erst für nen Perversen, dann sagt er irgendwas mit Phimose, und dass ich wochenlang keine Frau mehr anfassen dürfte. Die Freundin und der Arzt grinsen, und ich bin mega-abgefuckt. 

»Ahhh!«
»Was ist los? Bist du schon wieder zu früh gekommen?«
»Nein … das ist es nicht.«
»Was denn?«
»Weiß nicht … komisches Gefühl gerade .. wie ein Messerstich in die Eichel.«
»In meiner Möse? … was hast du eingeworfen?«
»Nix … bloß ein paar Bier und Whiskey-Cola getrunken.«
»Vermutlich die komplette Pulle Jim Bean … du wirst noch plemplem werden von dem vielen Alkohol.«
»Geh runter von mir!« Ich drücke Karoline nach hinten. Sie springt gelenkig auf und schaut mich spöttisch von oben an. »Das war echt eine Scheißnummer. Hätte ich mir vorher denken können.«
»Sei leise und mach das Licht an.«

Wie im Häcksler geschreddert

Das Sofa ist mit Blut besudelt. Mist, denke ich. Da werde ich meiner Mutter morgen früh eine Menge zu erklären haben. Irgendwas wird mir schon einfallen. Im Geschichten erfinden bin ich immer gut gewesen. Die Vorhaut sieht aus, als hätte ich sie in einen Häcksler gesteckt.

»Wow … wie eine explodierte Wurstpelle«, flüstert Karoline und will die Wunde betasten.
»Finger weg!«, zische ich.
»Hab dich nicht so fimschig«, faucht sie mich an. »Du bist so eine kleine Heulsuse.«
»Scheiße!«
»Gib jetzt nur nicht mir die Schuld.«
»Wem sonst?«
»Na dir selber. Was wirst du in der Disco plötzlich so geil auf mich?«
»Das Teil ist völlig im Eimer … kacke.«
»Und jetzt?«
»Bring mich ins Krankenhaus.«
»Kann ich nicht.«
»Warum nicht?«
»Habe keinen Führerschein. Bekomme am Steuer immer Panik.«
»Stimmt … hatte ich vergessen … dann fahre ich eben selbst.«
»Nimm ein Handtuch mit. Sonst saust du das Auto auch noch ein.« Einen kurzen Augenblick lang glaube ich, in ihrer Stimme einen Hauch Empathie zu hören.
»Tut’s dir leid, dass du meinen Schwanz geschreddert hast?«
»Nein.«

Ich schlüpfe in Karottenjeans und schwarze Cowboystiefel, versuche leise die Haustür zu erreichen. Jetzt nicht auch noch meine Eltern wecken und unnötiges Palaver. Jeder Schritt fühlt sich an, als ob mir Karoline mit einer Rasierklinge die Eichel durchfurcht. Stöhnend lasse ich mich auf den Sitz des hellblauen Käfer 1302 fallen und starte den Boxermotor. Die Scheiben sind innen beschlagen. Ich wische das Frontfenster mit dem Ärmel meiner Jacke ab.

»Wohin?«
»In die Uniklinik.«
»Für das Muttersöhnchen natürlich nur die beste Adresse«, ätzt sie. »Die geplatzte Salami kannst du dir von jedem Metzger nähen lassen.«
Ich schalte das Radio ein und suche BFBS, den Sender der im Rheinland stationierten britischen Truppen. Aus dem Lautsprecher ertönt: Tainted love von Soft Cell. Schweigend biege ich auf den Ehrenfeldgürtel ein und fahre missmutig in Richtung Lindenthal.

Der Sadist im weißen Kittel

Wir stoppen auf dem riesigen Parkplatz, der neben einem Hochhaus liegt, das um diese späte Uhrzeit hell erleuchtet ist. Die Uniklinik schläft nie.

»Das tut echt saumäßig weh«, sage ich beim Aussteigen.
»Stell dich nicht an wie eine Mimose. Du wirst das kleine Malheur überleben«, lächelt Karoline mit einem ironischen Ausdruck in den Augen.

»Wohin wollen Sie?«, erkundigt sich die Dame am Empfang.
»Notaufnahme«, antworte ich.
»Du meine Güte … hast doch keinen Herzinfarkt erlitten«, kichert meine Begleiterin. Ich bereue so langsam, sie mitgenommen zu haben.
»Den langen Korridor entlang und dann auf den Stühlen vor der Glastür Platz nehmen. Kann eine Weile dauern, bis Sie aufgerufen werden. Um vier Uhr sind nicht so viele von unseren Angestellten im Einsatz.«

Ich lasse mich auf eine Holzbank fallen und warte. Karoline betrachtet mich aufmerksam. Hin und wieder kichert sie.
»Was ist los? Amüsierst du dich über mein Leiden?«
»Ich find’s lustig. War schon mit einigen Typen im Bett, die mir nicht ganz sauber erschienen. Aber einen mit einer geplatzten Vorhaut hatte ich noch nie.«

Nach zwanzig Minuten, die mir wie eine Ewigkeit erscheinen, kreuzt endlich ein verpennt wirkender Arzt auf und winkt uns offensichtlich schlecht gelaunt in den Neon beschienenen Raum hinein. Überall chromblitzende Maschinen und Folterapparate. Ich fühle mich krank.

»Wie kann ich Ihnen helfen?«
Ich räuspere mich, huste verlegen: »Mein bestes Teil scheint ramponiert zu sein.«
»Mein bestes Teil befindet unter der Kopfschale, und bei dir ist es der Schwanz.« Karoline prustet los, kann sich kaum halten vor Lachen. Der Mediziner grinst. Ich hasse die beiden.

»Was genau ist passiert?«
»Seine Vorhaus sieht aus wie eine Einkaufstüte, die versehentlich in der Waschmaschine geschleudert wurde.« Sie spricht nun für mich.
»Haben Sie irgendwelche speziellen Sexpraktiken ausprobiert?«
»Nein … sie saß einfach auf mir und dann spürte ich plötzlich einen stechenden Schmerz.«
»Die Dame verfügt wahrscheinlich über ein schmales Becken und war noch nicht genügend stimuliert.«
»Daran wird es liegen … denn allzu groß ist sein Ding nicht.« Die zwei schauen sich feixend an.
Leck mich, denke ich.

Mit 20 noch ne Spät-Phimose?

»Ziehen Sie die Hose runter und lassen Sie mich mal nachsehen.«
Stumm gehorche ich seinem Befehl.
Er setzt eine Brille auf und leuchtet mit einer kleinen Taschenlampe auf meine Lendengegend.
»Ein sauberer Riss … allerdings recht lang … leiden Sie an Phimose?«
»Nein«, erwidere ich. Mir schießen allerdings sofort Bilder aus der Kindheit in den Kopf, als meine Mutter auf Geheiß des Kinderarztes nach jedem Badewannenabend meine Vorhaut dehnte. Bis es mir irgendwann zu blöde wurde und ich forderte, diese entwürdigende Prozedur ab sofort in Eigenregie vorzunehmen.

»Du wirst das auch bestimmt nicht vergessen?«
»Selbstverständlich nicht. Ich schwör’s.«
Natürlich hatte ich es nie mehr getan. Das Rauf- und Runterschieben bei jedem Duschen war mir lästig. Zudem erregte mich der Vorgang ab dem 12-ten Lebensjahr zu sehr. Hatte keine Lust, das Badezimmer mit einem Steifen zu verlassen. Als ich – recht spät mit 17 – das erste Mal richtigen Sex hatte, klappte es mit der älteren Italienerin tadellos. Danach bemerkte ich bei einigen Freundinnen zwar hin und wieder ein leichtes Ziehen, wenn ich in sie eindrang; das Zwicken und Kneifen nahm ich jedoch nicht ernst. Bis es heute Nacht dann doch passierte.

»Ich werde die Wunde jetzt nähen … benötigen Sie eine lokale Betäubung? Bis die wirkt, wird es allerdings eine Viertelstunde dauern.«
Ich zögere mit der Antwort, blicke unentschlossen abwechselnd auf Karoline und den Arzt.
»Wir haben nicht ewig Zeit … du brauchst keine Spritze … sei ein Mann«, bricht sie das Schweigen.
»Hören Sie auf Ihre Bekannte .. so schlimm wird es nicht werden.« Der Chirurg verwandelt sich in meinen Augen in einen Pferdemetzger.
»Okay«, willige ich erschöpft ein.

Der Sadist öffnet eine Schublade, nestelt eine Riesennadel und transparentes Garn heraus. Dann rollt er mit dem Hocker an mich heran und beugt sich über meine Leisten. Mir graust es bei der Vorstellung, dass er binnen einer Zehntelsekunde in meine Vorhaut hineinstechen wird. Die Angelegenheit dauert einige Minuten. Ab und an brummt der Menschenschinder so Sachen wie: »da habe ich mich mit der Schlaufe vertan« und trennt die Naht wieder auf, um von vorne zu beginnen. »So muss sich ein Fakir fühlen, der mit seinem Hoden auf einem Nagelbrett klebt«, fluche ich leise. Ich beiße nun auf die Zähne, presse die Lippen zusammen. Karoline entgeht nichts. Was für eine superneugierige Bitch, schießt es mir durch den Kopf. Mitunter stöhne ich, will mir die Schmerzen allerdings ums Verrecken nicht anmerken lassen. Ein paar Tränen kullern meine Wange herunter und perlen vom Kinn auf den Linoleumboden.

4 Wochen lang kein Sex!

»So fertig. Sauber geschlossen.« Der Arzt klopft sich selbst auf die Schulter.
»Und jetzt?«, frage ich.
»Ich gebe Ihnen eine schmerzstillende Salbe mit. Die streichen Sie morgens und abends auf die entzündete Stelle. In fünf Tagen dürfte das Gröbste überstanden sein. Nach zwei Wochen müssen Sie den Penis erneut untersuchen lassen.«
»Das war’s dann?«
»Und natürlich kein Geschlechtsverkehr für einen Monat. Die Gefahr, dass die Naht ansonsten aufreißt, ist zu groß.«
»In Ordnung.« Ich will nur noch raus hier. In zwei Stunden ist die Nacht für mich vorüber. Um acht Uhr werde ich in Anzug und Krawatte im Büro erwartet.

»Schafft der nicht.« Karoline muss mir noch einen Spruch reindrücken. Sie sollte sich besser Gedanken über ihr zu schmales Becken machen.
Ich beschließe, sie nie mehr anzurufen.

Das Radio im Käfer dudelt leise. Hatte vorhin in der Eile vergessen, es auszuschalten. Ich drehe auf laut und lausche: Abracadabra … Steve Miller Band.
—–

Bild von Dooffy Design auf Pixabay

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern.

Schreibe einen Kommentar