Kontakthof-Blues (1)

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Ich fahre nachts in Eroscenter, um sie mal wieder zu treffen, will bloß mit ihr reden, sie aber lacht mich aus und fordert mich auf, entweder ordentlich was springen zu lassen oder den Laden sofort zu verlassen. 

»Drehen Sie einen anderen Sender rein!«
Im Autoradio spielten sie: Do you really want to hurt me. Konnte diesen Song auf den Tod nicht ausstehen.
»Geht’s ein bisschen freundlicher, junger Mann?«
»Bitte auf BFBS umschalten. Dann gibt’s nachher auch Trinkgeld.«
»So hört es sich besser an.«

Fahrt durchs nächtliche Köln

Der südländisch aussehende Fahrer fummelte an den Knöpfen rum, und ich vernahm plötzlich die Klänge von: Every little thing she does is magic.
»So in Ordnung?«
»Hervorragend.«

Wir überquerten schweigend den Friesenplatz und befanden uns nun auf der nahezu menschenleeren Venloer. An der Inneren Kanal bog der Wagen nach rechts ab. Vorbei am Colonius, über die Subbelrather drüber, unter dem Gleisdreieck durch und dann scharf nach links zu unserem Ziel: in die Hornstraße hinein.

»Wie viel?«
»Sieben zwanzig.«
»Zehn. Stimmt so.«
»Danke! … Soll ich warten?«
»Keine Ahnung, ob sich das für Sie lohnt … Kann länger dauern.«
»Ich trinke einen Kaffee gegenüber. Sobald Sie fertig sind, können Sie ja schauen, ob ich noch da bin.«
»Okay.«

Ich fingerte einen Heiermann aus meiner Hosentasche, warf das Geldstück in den Automaten rechts am Eingang. Metall schepperte auf Metall. Mit leisem Summen glitt die schwere Panzerglastür auseinander. Der typische Freitagnachtgeruch des Eroscenters stieg mir in die Nase.

Geierschnabelblicke und ne resolute Hure

Um drei Uhr nachts wimmelten noch zwanzig Huren im Kontakthof herum, taxierten jeden Neuankömmling mit professionellem Geierschnabelblick auf die Dicke der Brieftasche und seine möglichen sexuellen Wünsche. Eine Gruppe besoffener Vorstadtbewohner in bunten Windjacken flegelte an der Bar, rief den vorübergehenden Frauen Pöbeleien zu und lachte laut. Eine fette Nutte im pinken Badeanzug kippte dem Anführer einem feisten, aknezerfressenen FünfundVierzigjährigen Ihren Piccolo ins Gesicht. Bevor er Luft holen und die Kumpels ihm zu Hilfe eilen konnten, waren sie bereits von zehn Nutten umringt, die schworen, ihre Pfennigabsätze in die Augen der Männer zu dreschen, wenn diese nicht in derselben Minute den Laden verließen. Trotz ihrer Beschränktheit begriffen die Idioten den Ernst der Lage und wankten, sich gegenseitig unterhakend, aus dem Raum , während sie mehrmals wiederholend riefen, dass sie sich in dieses abgefuckte Bordell bloß versehentlich verirrt hätten und die hässlichen Weiber nicht mit der Kneifzange anpacken würden.

Ich setzte mich auf einen der freigewordenen Hocker, bestellte beim dürren Pitter einen Filterkaffee, der hier noch übler schmeckte als die Plörre, die ich in meiner eigenen Küche aufsetzte und beobachtete die Szene. Um diese fortgeschrittene Stunde bevölkerten noch zwei Dutzend Freier  den Kontakthof. Die Hälfte glotzte auf einen TV-Apparat in der linken Ecke, in dem asiatische Pornos liefen, die restlichen zwölf unterhielten sich mit den Huren und feilschten um die Preise. Das altgewohnte Bild.

»Willst du mit hochkommen, Junge?«, eine schwere Hand mit fleischigen Fingern, an denen billige Ringe prangten, legte sich von hinten auf meine Schulter. Ich drehte mich um.
»Nein danke«, sagte ich leise lächelnd und schaute die Frau, die den fünf Schwachköpfen  vor wenigen Minuten noch Prügel angedroht hatte, freundlich an.
Sie blinzelte und fauchte: »Du bist der Kleine, der vier Klassen unter mir auf der Schule war; stimmt‘s?«
Ich nickte stumm mit dem Kopf.
»Wartest du auf sie?«
»Ja.«
»Sie wird bestimmt gleich kommen. Ist schon vor über einer Stunde mit einem alten Sack aufs Zimmer. Ewig kann es nicht mehr dauern.«

Willst du bloß labern oder auch was springen lassen?

Pitter stellte einen doppelten Jägermeister vor mich hin, in dem zwei bläuliche Eiswürfel klimperten.
»Ist nicht gut, so’n später Kaffee.«
Einen Moment zögerte ich, dann schüttete ich die braunklebrige Flüssigkeit in einem Schwung  in meine gierige Kehle. Es loderte kurz in der Speisröhre. Dann verbreitete sich eine angenehme Wärme vom Bauch ausgehend durch meine Adern. Das musste jetzt erstmal ausreichen. Ich wollte nicht besoffen vor ihr erscheinen. Bei jeder anderen wäre es mir egal gewesen. Nicht jedoch mit ihr. Später zu Hause konnte ich nachtanken.

»Bist du schon lange hier?«
Unbemerkt wie ein leichter Lufthauch hatte sie neben mir Platz genommen und strich wie zufällig mit ihrem Lackstiefel über meine Wade.
»Ein paar Minuten … möchtest du was haben?«
»Nein, von dem vielen Sekt wird mir sonst noch schlecht.«
»Ich bin auch nicht so durstig.«
»Tatsächlich? Mal ganz was Neues«. Sie heftete Ihren spöttischen Blick auf meinen Mund und ich hätte ihr in dieser Sekunde am liebsten die Lippen blutig geküsst.

»Wo hast du all die Zeit gesteckt?« Ihre Stimme klang jetzt schneidend.
»Hatte viel um die Ohren.«
»Nachts?«
»Da schlafe ich.«
»Erzähl mir keinen Scheiß. Du gehst nie vor vier Uhr ins Bett.«
»Will mir für die Prüfungen an der Uni einen gesünderen Rhythmus angewöhnen.«
»Hör auf zu lügen! Du bist jeden Abend auf der Rolle. Zockst, säufst, hurst rum. Sag mir die Wahrheit, sonst kannst du gleich wieder abhauen.«
»Ich war mir unsicher …«
»Worüber?«
»Halt unsicher.«
»Muss ich dir jedes Wort aus der Nase rausziehen? Los rede! Du bist doch kein Kleinkind.«
»Ob das mit uns zwei Sinn macht«, presste ich zwischen schmalen Lippen hervor.

Sie schaute mir tief in die Augen, ich senkte den Blick nach unten. Dann lachte sie los: »Natürlich nicht. Was denkst du denn? Du bist ein kleiner Student, der Mühe hat, auf sich selbst aufzupassen. Mehr Jüngling als Mann. Immer pleite, weil du mit Geld nicht umgehen kannst. Zudem völlig unzuverlässig. Hast mich seit unserem letzten Treffen vier Wochen warten lassen. Noch nicht mal angerufen. Eigentlich sollte ich dich rausschmeißen lassen.«
»Okay, dann gehe ich halt. Ist ohnehin schon spät.«

»Stopp!« Sie zog mich am Arm. »Bist du hier, um zu labern oder lässt du ein paar Mäuse für eine Nummer springen?« Sie sprach wie eine Metzgersfrau, die kurz vor Geschäftsschluss den letzten Kunden vom Kauf eines Stück Roastbeefs überzeugen wollte.
»Eigentlich reicht mir Reden für heute.«
»Such dir eine andere. Meine Zeit ist dafür zu kostbar.« Sie tat so, als ob sie aufspringen wollte, blieb jedoch sitzen.
»Ich zahle.«
»Ein Fuffi wird nicht ausreichen.«
Ich legte schweigend drei blaue Scheine auf die Theke.
»Tu noch einen drauf, und du bekommst eine komplette Therapiestunde.«
»Was soll’s? Ist bloß Geld.«

Mal wieder in Zimmer 348

Sie ließ die Kohle blitzschnell in ihrem BH verschwinden, lächelte mich wie auf Knopfdruck verführerisch an und säuselte: »Wirklich nur quatschen? Gefalle ich dir nicht mehr?«
»Doch. Aber du wurdest heute schon zu oft angerührt.«
»Etwa eifersüchtig?«
»Nein.«
»Hast Probleme mit meinem Job?«
»Auch nicht.«
»Sondern?«
»Das was ich suche, willst du mir nicht geben. Also unterhalten wir uns. Das reicht mir.«
»Bist ein komischer Vogel. Aber von mir aus.«

Wir rutschten von den Barhockern runter, sie hakte sich bei mir ein, legte den Kopf schräg auf meine Schulter. Der dürre Pitter rief uns hinterher: »Wenn’s spät wird, wisst ihr, wo der Notausgang ist.«

Auf der schmalen Treppe roch es nach Linoleum und Desinfektionsmittel. Ein grimmiger Herkules mit ölpolierter Glatze, in körperbetontem, schwarzen Lederjackett stierte uns nach, als wir in Zimmer 348 verschwanden.
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Hier geht’s morgen zu Teil 2.

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern.

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