In Debis goldenem Käfig

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Debi hat mich abgemagert im Park aufgelesen und ein paar Wochen lang aufgepäppelt. Jetzt aber übertreibt sie es mit dem Bemuttern, überwacht jeden meiner Schritte. Ich überlege deshalb, wie ich aus der Nummer mit nem schlanken Fuß wieder rauskomme.

»Möchtest du ein Ei im Glas, Henning?«
»Ne danke.«
»Einen Piccolo?«
»Lass gut sein, Debi. Ich hole mir was Anständiges aus dem Kühlschrank.«
»Das kann doch Swetlana für dich erledigen.«
»Die ist gerade einkaufen. Ich mach’s schon selber.«
»Der Tisch ist reichlich gedeckt. Was fehlt dir denn?«
»Zwei Rollmöpse und eine Packung Aspirin.«
»Du Ärmster. Ist es so schlimm? Ich hatte dir doch gestern Abend gesagt, du sollst nicht so viel trinken. Dass du auch nie auf mich hörst.«
»Du bist nicht meine Mutter. Das war die letzten Tage ohne Alkohol doch alles gar nicht zu ertragen.«
»Du bist undankbar. Das weißt du.«

Die mich 24/7 bemutternde Gastgeberin

Auf der Veranda. 11.05.
»Henning, du wirkst unzufrieden. Immer noch Kopfschmerzen?«
»Ist schon okay. Am liebsten würde ich zwei Dosen Bier kippen.«
»Soll dir Swetlana welche bringen?«
»Nein, das endet schrecklich. Dann lieber ein paar Stunden bibbern. Ist vernünftiger.«
»Du gefällst mir gar nicht in der letzten Zeit. Irgendwas brütest du aus.«
»Es ist Frühling. Mein Freiheitsdrang meldet sich.«
»Was soll das heißen? Gefällt es dir nicht mehr in meinem Haus?«
»Ist schön hier, Debi. Ich leg mich mal für eine Stunde unten in die Sonne. Bis später.«

Ich schnappte mir Handtuch und Sonnenbrille, suchte mir einen ruhigen Platz am Rande der fußballfeldgroßen Parkanlage, zog mich aus und warf mich ins Gras. Debi würde mich nachher bestimmt fragen, weshalb ich nicht einen der futuristischen Aluminiumliegestühle benutzt hätte. Weil ich einfach Lust verspürte, die Wiese direkt unter meinem Körper zu fühlen. Solche Sachen verstand sie nicht. Erzählte mir dann was von Erkältungsgefahr, Nierenentzündungen und Allergien. Sie war von allen Frauen, die ich bisher kennengelernt hatte, die besorgteste. Hin und wieder war das ganz okay. Ich überhörte ihre Ermahnungen einfach. Seit einer Woche störte es mich aber zunehmend. Ich fingerte einen Nullzweier Wodka aus meiner Jackentasche, den mir Swetlana zugesteckt hatte. Für das unangenehme Gespräch, das mir nach dem Mittagessen bevorstand, wollte ich mir noch etwas Mut antrinken.

Ein klärendes Gespräch, für das ich mir vorher Mut antrinken muss

14.25. Im Wohnzimmer.
»Jetzt aber raus mit der Sprache, Henning. Was ist los mit dir?«
»Wenn du mich so direkt fragst, Debi. Ich will weg von hier.«
»Wohin?«
»Weiß noch nicht so genau. Ist auch egal. Einfach raus.«
»Zurück in die Obdachlosenunterkunft, in der ich dich aufgelesen habe?«
»Die Nächte werden langsam wärmer. Notfalls kann ich auch draußen schlafen.«
»Und willst das Leben wieder aufnehmen, aus dem ich dich herausgeholt habe?«
»Ich hatte dich nicht darum gebeten, auch nur einen Finger für mich krumm zu machen. Du hast mich am unten am Fluss angesprochen. Wolltest, dass ich mit zu dir komme.«
»Weil du mir leid tatst, wie du da alleine auf der Parkbank gesessen hast.«
»Ich habe die Schiffe gezählt. Mache ich manchmal ganz gerne.«
»Hast mich sofort begleitet und dich von mir wieder aufpäppeln lassen. Du warst ja komplett abgemagert.«
»Das war echt nett von dir. Bin ich dankbar für. Nun hast du mich aber genug gemästet. Wird höchste Zeit für einige Fastentage.«

»Und unser Sex. Wirst du den nicht vermissen?«
»Debi, war eine interessante Erfahrung für mich. Jetzt kenne ich auch das. Und nun ist es wieder genug für mich.«
»Das ist alles was dir dazu einfällt? ‚Interessant’. Mehr hast du dazu nicht zu sagen, du Mistkerl?«
»Wie soll ich diese Variante sonst bezeichnen?«
»Du hast dich in der ersten Nacht in meinem Bett gesuhlt wie ein brunftiger Stier. Nachdem ich dich zwei Stunden lang gewaschen hatte, damit du den Gestank des Pennerheims endlich los wurdest.«
»Ich habe anfangs geglaubt, du seist eine Frau, Debi.«
»Bin ich auch.«
»Ja, aber eine nachträglich hergestellte. Nicht seit Geburt an.«
»Das hat dir aber beim ersten Mal überhaupt nichts ausgemacht.«
»Da war ich betrunken.«
»Du gemeines Ekel.« Debi begann zu weinen und lief in ihr Schlafzimmer. Ich fühlte mich unwohl in meiner Haut.

Swetlanas Angebot

»Na Henning, wie läuft es?«
»Ich mag solche Unterhaltungen gar nicht, Swetlana. Sie wird’s schon schlucken. Was bleibt ihr auch anderes übrig?«
»Schau, dass du hier schleunigst wegkommst. Das ist doch wie ein goldener Käfig, in dem man auf Dauer verrückt wird.«
»Sehe ich genauso. Die kalte Jahreszeit ist endgültig vorüber. Vielleicht penne ich am Ufer.«
»Wenn alle Stricke reißen, kannst du bei einem Bekannten von mir übernachten. Zumindest vorübergehend. Ich mache hier auch in ein paar Wochen den Abflug. Dann habe ich genug verdient, um dem Laden Lebewohl sagen zu können.«

Wo war ich da bloß in meinem besoffenen Kopf reingeraten? Musste ich vor ein paar Wochen unbedingt einer Transe nach Hause folgen? Weshalb hatte ich nicht sofort erkannt, dass Debi früher ein Kerl gewesen war? Sah man doch an der Größe von Händen und Füßen. Ich achtete damals halt nur auf ihren hübsch bemalten Schmollmund und das enorme Dekolleté. Ließ mich von ihrer Villa und der funktionierenden Heizung beeindrucken. Hatte mich nach langer Zeit mal wieder satt gegessen. Zwei Flaschen von ihrem teuren Rotwein getrunken.

Danach im Bett überhaupt nicht gepeilt, wer da neben mir lag. Ich mochte Debi. Anfangs sogar sehr gerne. Sie war hübsch, witzig und eloquent. Dass sie hormonbehandelt und mehrmals operiert war, hatte ich schnell verdaut. Auch ihr Penis störte mich nach einigen Tagen beim Sex nicht mehr allzu sehr. Sie war leidenschaftlicher als viele Frauen, die ich vor ihr gekannt hatte. Allerdings driftete sie nach vierzehn Tagen immer mehr in die Rolle einer bemutternden Glucke ab. Die jeden meiner Schritte beobachtete.

Wenn ich länger als zwei Stunden außer Haus blieb, musste Swetlana mich suchen. Sie rief derweil nonstop auf dem mir geschenkten Handy an. Ab einem gewissen Zeitpunkt fühlte ich mich komplett überwacht. Das nervte sehr. Ich wollte heute den definitiven Schlussstrich ziehen.

Mein Freiheitsdrang meldet sich zurück

19.05. Im Schlafzimmer.
»Lass uns ins Bett gehen und versöhnen.« Debi hatte ein aufreizendes kirschrotes Jaquard-Korsett mit Hakenverschluss angezogen.
»Nein, das bringt jetzt nichts mehr. Mein Entschluss steht fest.«
»Steckt Swetlana dahinter?«
»Wie kommst du darauf?«
»Die kleine polnische Schlampe. Dachte ich’s mir doch. Du hast mit ihr gevögelt. Die kann heute ihre Koffer packen und dich begleiten.«
»Debi, beruhige dich. Swetlana hat nichts damit zu tun. Das ist alleine auf meinem Mist gewachsen.«

»Gefalle ich dir denn gar nicht mehr?«
»Doch, du bist eine schöne Frau. Daran liegt es nicht.«
»Sondern: woran dann?«
»Mir fehlt hier einfach die Luft zum Atmen. Manchmal meine ich sogar, zu ersticken.«
»Du kommst nicht klar damit, dass ich ein Transgender bin.«
»Bis vor kurzem habe ich den Begriff noch nicht einmal gekannt. Ist okay für mich.«

»Und trotzdem bist du scharf auf Swetlana. Gib’s zu!«
»Ich mag sie. Das stimmt schon.«
»Weil ihre Brüste echt und meine künstlich sind?«
»Das hast du gesagt, Debi. Nicht ich. Und nun Ciao. Ich bin jetzt durch die Tür. Und bitte: Forsche nicht nach mir. Wenn ich es mir anders überlegen sollte, melde ich mich freiwillig bei dir.«
»Hau endlich ab und nimm das Flittchen mit. Ich will euch beide nie mehr wiedersehen.« Debi warf die Tür ins Schloss, so dass man es im gesamten Haus hören konnte.

Ich war froh, es hinter mich gebracht zu haben und freute mich auf den Park am Fluss.

Bild von Gerhard G. auf Pixabay

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern.

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