Es gibt viele Bücher zum Thema 9. November. Die Kataloge der Bibliotheken sind voll damit. Und auch in Facebook lese ich heute einiges darüber.
Tagebuch – 9. Nov. 20
Es gibt viele Bücher zum Thema 9. November.
Die Kataloge der Bibliotheken sind voll damit.
Und auch in Facebook lese ich heute einiges darüber.
Der 9. November ist eng mit meiner Jugend verbunden. Ich kam aus der Schule nach Hause, setzte mich an den Mittagstisch und wollte vollgepfropft mit frisch erworbenem Wissen aus dem Geschichtsunterricht mit meinen Eltern darüber diskutieren.
Meine Mutter sagte: »Rede nicht so viel beim Essen. Das gehört sich nicht.« Mein Vater sagte: »Das war eine riesige Schweinerei damals gewesen.« Aber er sagte es so, als ob er von einer x-beliebigen Schweinerei, die sich vor hunderten von Jahren an einem x-beliebigen Ort zugetragen hatte, sprechen würde. Da wurde mir klar, dass sie beide nicht drüber weg waren über diese Zeit und mir lieber von ihren Entbehrungen und von den Onkels, die an der Front gefallen waren, erzählten, als das Leid der am 9. November geschundenen Menschen in Worte kleiden zu wollen
Sie zeigten mir Fotos und bunte Briefmarken aus den 30er und 40er Jahren und erwähnten, dass es auch für ihre Familien damals nicht einfach gewesen war, vor allem als die Bomben fielen und sie Tage und Nächte in Bunkern zubringen mussten.
Ich stritt mit ihnen und ich stritt mit dem Geschichtslehrer, der uns beibrachte, dass unsere Eltern Täter waren. Bis ich des Streitens müde wurde und den 9. November nur noch als stillen Tag der Trauer begriff.
Wenn ich wie gestern mal wieder am Grab meiner Eltern stehe, überlege ich manchmal, ob ich früher hartnäckiger mit ihnen hätte diskutieren sollen. Aber wer hat als Jugendlicher schon Lust darauf, wegen eines lang vergangenen 9. Novembers immerfort zu streiten? Meine Eltern hatten ihre Kindheit, ich hatte meine. Und wir alle blicken mit einem verklärenden Blick darauf zurück.
Aber immer noch ist der 9. November für mich ein Datum, an dem ich mit einem beklommenen Gefühl aufstehe, den ich als einen Tag komplett verschieden von den restlichen 364 Tagen des Jahres empfinde und Scham spüre darüber, was an diesem Tag zur Zeit der Kindheit meiner Eltern in unserem Land geschah.
Bild von moonlight99 auf Pixabay