Blaue Augen

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Geschichte einer Bekannten, die lieber abends mit Sonnenbrille rumläuft, als sich von ihrem Mann zu trennen und die, als sie mir die traurige Story zum 100-sten Mal erzählt, dabei meinen Kühlschrank leer trinkt und am Ende ein großes Brandloch auf dem Sofa hinterlässt, bevor sie wieder zu ihrem Mann zurückkehrt.

Freitagabend. Ich schaute auf die Uhr. Kurz vor sieben. Gut. Da hatte ich noch ein bisschen Zeit, bevor ich rüber zu Pitter ging. Heute Abend FC gegen Gladbach. Allerdings in Gladbach. Das würde schwer werden für den FC. Auswärts verlor Köln in dieser Saison nahezu jedes Spiel. Und dann noch die Fohlen? Angstgegner der Kölner seitdem ich mich zurück erinnern konnte.

Pitter hatte sich vorgestern einen neuen Fernseher gekauft. So einer von diesen Riesenteilen. Minimum zehn Quadratmeter Bildschirm. Größer als sein Wohnzimmer. Mit Boxen: Wenn man die auch nur halb aufdrehte, flog das Hausdach fort. Wo hatte Pitter bloß immer die Kohle für all diesen Schnickschnack her? Von seinem Job als Hausmeister in einem kleinen Industriebetrieb im Osten der Stadt? Fünfzehn Stunden in der Woche. Reich konnte er davon nicht werden. Wahrscheinlich steckte ihm die alte Frau, die er hin und wieder abends betreute, ordentlich Bares zu. Ob er dafür auch ab und an mit ihr in die Kiste steigen musste?

Zugetraut hätte ich es ihm. Pitter war recht schmerzfrei, wenn es darum ging, Geld ranzuschaffen. Ob ich Lust hätte, mich um Seniorinnen zu kümmern, hatte er mich vor ein paar Wochen gefragt. Ich hatte abgelehnt. Ich war noch nicht so weit. Mir kamen ja schon Pickel, sobald ich Rentnerinnen an der Kasse im Supermarkt dabei zuschauen musste, wenn sie zehn Euro dreiundzwanzig in Zeitlupe Stück für Stück aus ihrem Portemonnaie hervorkramten und bei zehn Euro neunzehn feststellten, dass noch vier Cent fehlten. Am Montag hatte ich meinen vollen Einkaufswagen einfach stehengelassen und war vor den Augen der verblüfften Kassiererin wortlos gegangen. War nicht mein Problem, wenn sie Schnell- und Langsamzahler nicht voneinander trennen konnten.

Ne alte Bekannte steht vor der Tür

Ich überlegte, ob ich schnell noch duschen sollte. Denn ich war nach dem Studio verschwitzt.
Andererseits: Es war Pitter. Der roch auch nicht immer angenehm. Fußball im Pay TV. Da konnte ich meinen Trainingsanzug auch anlassen. Es klingelte. Ich öffnete. Manu stand in der Tür. Mit dunkler Sonnenbrille.
»Henning, kann ich reinkommen?«
»Warum?«
»Frag nicht so viel. Lass mich rein. Bitte.«
»Aber nur für fünf Minuten. Ich hab’s eilig. Bin auf dem Sprung zum Fußball.«
»Bist du sauer auf mich?«
»Nein.«
»Hörst dich aber so an.«
»Manu, was willst du?«
»Nur kurz rein zu dir und ein bisschen unterhalten. Mehr nicht. Ich schwör’s. Ich brauche jetzt aber jemanden zum Reden. Und da wollte ich zu dir.«
»Ich bin nicht dein Psychiater.«
»Nein, bist du nicht. Leider. Mein Psychologe ist nämlich ein kompletter Idiot.«
»Warum? Was macht der falsch?«
»Der will mich flachlegen.«
»Klar, was auch sonst? Und der unterhält sich nicht mit dir?«
»Nein, starrt mir bloß in den Ausschnitt.«
»Für zweihundert Euro die Stunde. Das ist schnell verdientes Geld.«
»Henning, Dieter hat mich verprügelt.«
»Hab‘ ich mir gedacht.«
»Wie kannst du das wissen? «
»Du trägst eine Sonnenbrille mit Gläsern so groß wie Suppenteller. Was soll sich darunter schon verbergen?«
»Henning, was soll ich machen?«
»Dich von dem Arschloch trennen.«
»Ich zieh zu dir. Ist das in Ordnung für Dich?«
»Nein.«
»Nur für zwei Nächte. Dann bin ich wieder weg. Versprochen.«
»Nein. Die fünf Minuten sind um.«
»Du wirst mich jetzt aber nicht rauswerfen?«
»Wenn du nicht von selber gehst: Doch.«
»Du würdest das tatsächlich tun. Das hätte ich nun wirklich nicht von dir gedacht.«

Manu ließ sich in meinen blauen Sessel fallen, öffnete ihre braune Lederhandtasche und fingerte solange darin herum, bis sie ihre Zigaretten fand.

Viel Gequatsche ohne greifbares Ergebnis

»Hast du einen Aschenbecher für mich? Ich rauch‘ noch eine. Dann haue ich wieder ab.«
»Wirst du sowieso nicht machen. Hier, nimm die Kaffeetasse und asch nicht auf den Teppich.«
»Du musst mir helfen.«
»Weshalb? Ich bin nicht dein Vater.«
»Du bist der Einzige, an den ich mich wenden kann.«
»Manu, du kennst aktuell mindestens fünfhundert Männer. Mit vierhundert von denen warst du in der Kiste. Warum ausgerechnet ich?«
»Du hast auch mit mir geschlafen. Kannst du dich da nicht mehr dran entsinnen?«
»Und ob ich das kann. Und – das sind keine schönen Erinnerungen.«
»War doch super Sex mit uns beiden.«
»Am ersten Abend vielleicht. In der zweiten Nacht schon nicht mehr.«
»Nun hab dich mal nicht so. Ist doch alles Schnee von gestern. Die paar Stunden im Knast, die haben dich doch nicht umgebracht.«
»Das nicht. Ich lebe ja noch. Aber ich will da nicht wieder hin.«
»Sollst du ja auch gar nicht. Ich will hier bei dir bleiben und mit dir reden.«
»Manu, da wo du bist, sind die Bullen nie weit. Du ziehst das Unglück an wie ein faules Stück Fleisch die Schmeißfliegen.«
»Jetzt übertreibst du aber. So schlimm bin ich doch gar nicht. Hast du was zu trinken?«
»Nein.«
»DU hast nichts im Haus? Ist ja ganz was Neues. Seit wann denn das?«
»Knapp vier Wochen.«
»Ist deine Leber kaputt? Wer hat dir denn dazu geraten?«
»Mein Psychologe hat mir den Tipp gegeben. Wir unterhalten uns eben. Anstatt uns gegenseitig zu begrapschen.«
»Ich brauch unbedingt was zu trinken. Komm, besorg mir was. Sonst klapp ich hier gleich zusammen.«

Zum 100-sten mal die Story vom prügelnden Lebenspartner

Manu sah wirklich nicht gut aus. Grün und blau geschlagen und entzügig. Ich war in leichter Sorge, dass sie tatsächlich vom Sessel kippen könnte. Ich klopfte bei meinem Nachbarn. Ein netter Typ. Student. Jurist. Schrieb andauernd Hausarbeiten. Stand allerdings mit der deutschen Rechtschreibung auf Kriegsfuß. Ich korrigierte hin und wieder seine Texte. Er revanchierte sich mit Tiefkühlpizza und nachts heruntergeladenen Spielfilmen. Wir konnten uns gut leiden. Trotz unseres Altersunterschieds.

»Patrick, kannst du mir mit einer Flasche Wein aushelfen?«
»Ich denke, du trinkst nicht mehr?«
»Ist für eine Bekannte. Die sitzt bei mir und braucht dringend Nachschub.«
»Gerne. Ich hab aber nur billiges Zeug vom Aldi. Weiß nicht, ob die so was mag.«
»Ist vollkommen okay. Die akzeptiert im Augenblick notfalls auch einen Tetra Pack. Hauptsache Alkohol.«
»Kein Problem. Brauchst mir auch keine neue Pulle zu kaufen. Wir verrechnen das mit der nächsten Hausarbeit.«
»Bist ein feiner Kerl, Patrick. Ich kümmere mich dann auch um die Fußnoten und Zitate. Ist ja bei euch Juristen zur Zeit ein brisantes Thema.«
»Ha ha, Sehr witzig.«

Als ich in meine Wohnung zurückkam, räkelte sich Manu nackt auf der Couch und drückte ihre Zigarette in der Tasse aus.
»Zieh dich an.«
»Mir ist heiß.«
»Dann geh duschen.«
»Gefall ich dir nicht mehr?«
»Nein.«
»Letztes Jahr hast du Nutella von meinen Oberschenkeln abgeleckt.«
»Da war ich betrunken. Und jetzt geh entweder ins Bad, oder ich schmeiß dich raus.«
»Ich habe nichts an.«
»Dein Problem. Ich werf dir die Klamotten aus dem Fenster hinterher. Kannst du unten vor der Haustür einsammeln.«
»Du bist ein elender Scheißkerl.«
»Ich bring dich ins Krankenhaus.«
»Nein. Auf keinen Fall. Was soll ich dort?«
»Du bist von oben bis unten mit Hämatomen übersät. Was hat der Schwachkopf mit dir angestellt? Dich erst verprügelt und dann die Treppe runter geworfen?«

Manu begann zu weinen. Ihr zarter Körper vibrierte wie ein auf lautlos geschaltetes Mobiltelefon. Sie zog ihre hochhakigen Stiefel an. Der Rest blieb nackt. Sie wurde wieder ruhig.
»Hatte dein Nachbar was da?«
»Ja. Wein. Mache ich dir auf.«
»Das ist nett von dir. Meinst du, ich kann ihn nach Valium fragen?«
»Patrick? Nein. So ein Zeug nimmt der nicht.«
»Verflucht. Ich könnte ein paar Pillen vertragen.«
»Du hast doch heute bestimmt schon dreißig Benzos geschluckt. Hör auf damit. Sonst müssen sie dir nachher noch den Magen auspumpen. Bleib beim Wein.«
»Henning, was soll ich machen?«
»Zur Polizei gehen. Ihn anzeigen, das Schwein.«
»Er ist mein Mann.«
»Das macht’s nicht besser.«
»Das kann ich nicht alleine.«
»Ich begleite dich.«

Ich geh auf gar keinen Fall in ein Frauenhaus!

»Das würdest du tatsächlich tun? Du bist süß. Aber nicht mehr heute. Morgen. Versprochen. Lass uns jetzt erst mal einen schönen Abend machen.«
»Nein. Du wirst hier nicht pennen.«
»Wo soll ich denn hin?«
»Ich bringe dich ins Frauenhaus.«
»Was soll ich da?«
»Schlafen. Dich mit Profis unterhalten. Zur Ruhe kommen.«
»Aber da sind doch nur Weiber.«
»Nennt sich ja auch Frauenhaus. Männer haben dort keinen Zutritt. Die wissen schon warum.«
»Da gehe ich auf keinen Fall hin.«
»So schlimm ist es nicht. Ruth und Isabella waren im letzten Jahr für einige Zeit dort untergekommen. Komplette Kontaktsperre zu ihren Partnern. Kinder durften sie aber mitbringen. Hat den beiden gut getan.«

»Ruth? Die Ruth, die ich auch kenne?«
»Ja, genau die.«
»Und der hat es da gefallen?«
»Es war okay für sie. Auf jeden Fall besser als bei ihrem prügelnden Verlobten.«
»Ich will da trotzdem nicht hin.«
»Dann wird’s heute Abend eng für dich. Bliebe noch die Klinik. Sonst die Parkbank.«
»Klinik wär besser.«
»Weil du da alle kennst. Von mir aus. Dann begleite ich dich eben in die Klinik.«
»Und bei dir geht’s heute Nacht wirklich nicht?«
»Manu, ich mag dich wirklich. Das weißt du. Du bist eine herzensgute Frau. Ich fand dich im vergangenen Jahr auch attraktiv. War gerne mit dir im Bett. Aber das ist alles nebensächlich. Jeder, der länger als zwei Stunden mit dir zusammen ist, landet entweder im Knast oder in der Entgiftung. Ich habe da echt keinen Bock mehr drauf.«

»Im Frühjahr bist du zu mir gelaufen, um mich vor Charlie zu retten. Da hattest du mich noch lieb.«
»Weil du am Telefon erzählt hattest, er hätte dich vergewaltigt und würde dich als Sexsklavin halten.«
»Hat er auch.«
»Nein, hat er eben nicht. Er ist schwul. Steht absolut nicht auf Frauen. Er war aber komplett abgefüllt und lag halbtot bei dir im Wohnzimmer.«
»Er hätt’s aber tun können.«
»Ja, das ist es: dieses hätte, könnte. Das spielt sich alles in deiner Fantasie ab. Selbst den hilfsbereiten Pitter hast du erst in den Bau und dann ans Saufen gebracht. Nachdem er über ein Jahr trocken war.«
»Na und. Dann war er halt mal eine Woche in der Klinik. Was ist schon dabei?«
»Er war einen knappen Monat dort. So heftig hattest du ihn umgehauen. Manu, versteh doch bloß endlich. Es gibt zwei Personen, vor denen man dich retten muss: deinen vollkommen durchgedrehten Mann. Denn sonst schlägt der dich eines Tages im Wahn wirklich tot. Und vor dir selber. Du musst eine Therapie machen.«
»Dieter liebt mich abgöttisch. Das weiß ich.«
»Was ist das für eine Scheißliebe, wenn man zweimal die Woche krankenhausreif geschlagen wird?«
»Ich kann mich jederzeit von ihm trennen«
»Das höre ich gerne. Dann bringe ich dich jetzt sofort in die Klinik und sage denen, dass sie den Schwachkopf auf keinen Fall zu dir lassen sollen.«

Und wie immer wird am Ende mal wieder alles verziehen

Manus Handy klingelte. Sie nestelte es aus ihrer Handtasche heraus. Die Asche ihrer mittlerweile vierten Zigarette fiel auf das Kissen und brannte ein kleines Loch hinein.
»Es tut dir wirklich leid? … Und du liebst mich?«

»Ja, bei Henning. Nein, der ist kein Arschloch. Wir haben uns bloß unterhalten.«

»In einer halben Stunde. Gut. Ich liebe dich auch.« Manu legte auf.

»Henning, das war …«
»… dein zugedröhnter Mann. Hab’s mitbekommen.«
»Er hat gesagt, dass es ihm leid tut.«
»Und, das reicht dir?«
»Er liebt mich.«
»Nimm deine Klamotten mit und warte draußen auf ihn. Ich will die Kakerlake nicht in meiner Wohnung haben. Sonst laufe ich mit seinem Kopf gegen die Wand, damit er sieht, wie weh das tut.«
»Henning, warum bist du jetzt böse auf mich? Ich habe dir doch nichts getan.«
»Weil es einfach sinnlos ist. Eher überzeuge ich einen Junkie davon, sich die Nadel aus dem Arm zu ziehen als dich, diesem räudigen Typen endlich den Laufpass zu geben. Aber, was rede ich nur mit dir? Da haben sich Dutzende von Ärzten und Psychologen schon den Mund fusselig geredet. Ich hatte dich im vergangenen Jahr auf Knien gebeten, dich von dem Schwein zu trennen. Mit dem Resultat, dass ich eine Nacht in den Bau wanderte und der aggressive Vogel nach wie vor auf freiem Fuß ist«
»Ich hab’s am nächsten Tag bei den Bullen richtig gestellt.«
»Am Tag danach. Du sagst es. Aber eben nicht in dem Moment, in dem es drauf ankam.«
»Henning, ich muss jetzt gehen. Dieter kommt gleich. War schön bei dir. Ich ruf dich die Tage an.«
»Bloß nicht.«

Das Spiel hatte ich verpasst. Das war ärgerlich. Ich schaltete das Radio ein:
»Der Erste FC Köln hat die Freitagabendpartie bei Borussia Mönchengladbach mit Null zu Vier verloren. Die Tore für die Fohlen erzielten: ……«
Ich wollt’s gar nicht mehr hören. Die Niederlage des FC schmerzte. Pitter hingegen würde sich freuen.
Denn der war eingefleischter Gladbachanhänger. Das war echt ein Scheißabend gewesen. Erst die Story mit Manu, dann der Absturz der Kölner in den Tabellenkeller. Meine Laune war nicht die Beste. Auf dem Tisch stand noch eine halbvolle Flasche Wein. Im WDR spielten sie: „Deine blauen Augen machen mich so sentimental“ von Ideal. Welche Augenfarbe hatte eigentlich Manu? Mir war’s tatsächlich entfallen.

Bild von Clker-Free-Vector-Images auf pixabay

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern.

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