Der BND hört mit auf der Station

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Von V-Leuten in der Geschlossenen, und weshalb sie einem dort Gürtel und Schnürsenkel wegnehmen.

Die schwere Holztür öffnete sich mit einem leisen Summen, und die resolute Schwester von der Aufnahmestation schob mich in die Abteilung 61 hinein.
»Bringen Sie uns den Herrn Hirsch?«
»Ja. Die ersten Tests mit ihm haben wir unten bereits durchgeführt. War alles soweit okay.«
»Gut. Dann übernehmen wir ihn jetzt.«

Die Dame, die mir vorhin noch Ohrfeigen verpasst hatte, um mich aufzuwecken, verschwand. Ich blickte in die kalten Augen von Pfleger Jürgen. Es ist echt ein Scheißtag. Als ob es mir nicht schon elend genug ginge, muss nun auch noch dieser Drecksack heute Dienst tun. Viel schlimmer kann es kaum noch kommen, dachte ich grimmig.
»Na Herr Hirsch. Auch mal wieder bei uns? Lange nicht gesehen.«
»Stimmt. Das letzte Mal vor vier Wochen.«
»Da haben Sie sich ja recht lange draußen gehalten. Ich hatte sie eigentlich früher zurück erwartet.«
Ich hasste den Kerl.
»Lassen Sie mich aufstehen. Ich kann selber laufen.«
»Sie bleiben schön sitzen. Ich schiebe Sie jetzt ins Untersuchungszimmer. Gepäck- und Körperkontrolle. Sie kennen das ja. Die übliche Prozedur.«

Keine Schnürsenkel und Gürtel erlaubt

Fünf Minuten später.
»Schaffen Sie es, sich auszuziehen, oder soll ich Ihnen dabei helfen?« Der Pfleger streifte sich Gummihandschuhe über.
»Macht es Ihnen eigentlich Spaß, Männer zu befummeln, Jürgen?«
»Gehört zum Job dazu. Reine Routine.«
»Glauben Sie, ich habe mein Bier im Hintern versteckt?«
»Weiß man bei euch Süchtigen nie, was für verrückte Ideen ihr ausheckt. Kontrolle ist besser. «
»War’s das?«
»Noch nicht ganz. Geben Sie mir bitte ihre Schnürsenkel und den Gürtel.«
»Weshalb das denn?«
»Ich werde schon meine Gründe haben, weshalb ich das von Ihnen fordere.«
»Habe ich keine Lust drauf.«
»Ich kann Sie auch fixieren lassen. Wollen Sie das?«
Was für ein Arschloch! Aber er saß am längeren Hebel.

Endlich konnte ich diesen entwürdigenden Rollstuhl verlassen und mich auf meinen eigenen Beinen bewegen. Fiel mir zwar in meinem desolaten Zustand nicht ganz einfach; aber mit ein bisschen Anstrengung funktionierte es. Nun war ich also doch in der geschlossenen Station gelandet. Hatte ich zwar befürchtet, aber insgeheim doch gehofft, sie würden mich in die offene Abteilung einweisen. Hing halt immer von mehreren Faktoren ab, wo man schließlich landete. Ich hatte mich nicht angemeldet. War einfach so aus heiterem Himmel aufgekreuzt. Das war kein Problem, die Ärzte und das Personal kannten mich. Wenn ich angetorkelt kam, dann wussten die, dass Matthäus am Letzten kurz bevorstand. Mich hatten die Mediziner auch noch nie mit dem Ratschlag: »Trinken Sie ruhig weiter, und warten Sie auf unseren Anruf«, nach Hause zurück geschickt. Die Gefahr, dass ich dann aufgrund vorzeitigen Ablebens nicht mehr an den Apparat gegangen wäre, war ihnen doch zu groß. Über drei Promille schickten sie einen ohnehin direkt in den geschlossenen Trakt. Falls man zusammenklappte oder randalieren sollte, hatten sie dort das erfahrenere Personal vor Ort.

Naja, mir war es eigentlich vollkommen egal, in welche Abteilung sie mich einwiesen. Ich war hier, um zu entgiften. Ich hätte mich notfalls auch für einige Tage in den Heizungskeller gelegt. Hauptsache es gab ein Bett und die dringend benötigten Medikamente. Wo der Entzug dann räumlich stattfand, war zweitrangig. Zumindest ich sah das so. Ich betrat das Raucherzimmer. Die üblichen Gestalten, die hier herumlungerten. Die Hälfte von ihnen kannte ich.
»Hi Henning. Auch wieder im Vorhof zur Hölle? Sahst schon mal besser aus.«
»Weiß ich.«

„Wir werden alle ständig abgehört“

In der Ecke hinten links entdeckte ich Rolf. Vor ihm auf dem Linoleumboden saß René und erklärte ihm, wie man mit dem kleinen Transistorradio Kontakt mit dem BND aufnehmen konnte, der schon seit vielen Jahren V-Leute in die 61 einschleuste. Weshalb der BND das machte – darüber durfte René mit uns nicht sprechen und tat dann immer sehr geheimnisvoll. Rolf hörte ihm geduldig zu, weil er im Moment wahrscheinlich nichts anderes mit sich und der vielen Zeit anzufangen wusste.
»Henning. Auf welcher Müllkippe haben sie dich denn aufgegabelt?«
»Bin selber hier aufgekreuzt.«
»In dem erbärmlichen Zustand? Alle Achtung. Da landen andere in der Kühlkammer. Bist halt einer aus der Hardcorefraktion.«
»Lass mich in Ruhe. Mir geht’s dreckig.«
»Hat dich Jürgen in Empfang genommen?«
»Bei meinem Pech heute: ja.«
»Wärst du zwei Stunden früher aufgekreuzt, dann hätte dich Veronika verarztet. Vorhin war Schichtwechsel.«
»Von der würde ich mich lieber befingern lassen als von dieser Schwuchtel.«
»Glaube ich dir aufs Wort, Henning. Hast du deinen Gürtel abgeben müssen?«
»Ja. Hat der Schweinehund auch einkassiert.«
»Du weißt, warum sie das tun?«
»Nehme an, dass sich jemand erhängt hat. Passiert in dieser traurigen Station ja hin und wieder.«
»Rita hat sich gestern an der Heizung stranguliert.«
»Die ältere Steuerberaterin?«
»Genau die.«
»Die war ganz nett. Schade um sie. Da kann man halt nichts machen. Hast du mal eine Zigarette für mich, Rolf?«
»Kannst eine von René haben.«
»Lass mal stecken. Das ist zusammengerollter Katzendreck. Dann rauche ich lieber gar nicht.«
»Du stellst Ansprüche in diesem Laden, Henning.«

18.00. Essensausgabe.
»Du zitterst ja wie Espenlaub, Henning. Soll ich dir die Brote schmieren?«
»Das ist lieb von dir, Yvonne. Ich hab‘ aber gar keinen Hunger.«
»Ein bisschen was solltest du zu dir nehmen, damit du wieder zu Kräften kommst. Würg’s halt irgendwie runter. «
»Hast Recht. Ist vernünftig. Wird schon drinnen bleiben.«
»Petra ist auch wieder hier.«
»Welche Petra?«
»Na deine Bekannte vom letzten Mal. Ihr wart doch ein Herz und eine Seele.«
»Die Puffmutter aus der Eifel? Ich dachte, die wollte sich verloben und ein neues Leben beginnen.«
»Der Vorsatz hat anscheinend nicht lange gehalten. Wurde gestern mitsamt ihrem Typen hier eingeliefert.«
»Manchmal läuft‘s halt anders als geplant. Wo ist sie denn? Habe sie noch gar nicht gesehen.«
»Die liegt in dem verglasten Raum gegenüber vom Schwesternzimmer. Pennt seit vierundzwanzig Stunden nonstop.«
»Sie haben ihr KO-Tropfen gegeben?«
»Nicht zu knapp. Sie hat einen Heidenrabatz veranstaltet und den halben Laden auseinander genommen.«
»Ich hätte sie beruhigt bekommen. Die ist doch eigentlich ganz nett und friedlich.«
»Du weißt, was der Alkohol bei einigen von uns bewirkt. Die verwandeln sich dann vom Dr. Jekyll zum Mr. Hide. Und wenn sie wieder aufwachen, sind sie lammfromm und können sich an nichts mehr erinnern.«
»Ja, so ist es. Scheißdroge.«

Immer wieder die elende Warterei auf die erste Pille

»Geben sie dir schon Medizin?«
»Bisher nicht. Habe noch zu viel Promille.«
»Von Jürgen wirst du so schnell auch nichts bekommen. Bei Typen wie dir testet der erst Mal die Grenze aus.«
»Da kann er lange warten. Lieber bibbere und schwitze ich, als den um etwas anzubetteln.«
»Spiel jetzt hier nicht den harten Mann. Nachher kippst du noch aus den Latschen. Damit ist niemandem geholfen. Gleich wird der ältere Pfleger hier sein. Mit dem verstehst du dich doch ganz gut?«
»Kurt? Ja, der ist in Ordnung.«
»Der wird dir direkt was geben.«
»Hoffentlich. Sonst kotze ich denen noch vors Arztzimmer.«

19.12. Aufenthaltsraum.
»Hast du schon geduscht, Henning? Du riechst nicht gut.«
»Würde ich gerne tun. Aber in meinem jetzigen Zustand würde ich wahrscheinlich im Badezimmer kollabieren.«
»Von Veronika würdest du dich gerne einseifen lassen; oder?«
»Lass mich in Ruhe, Rolf.«
»Möchtest du ein paar saubere Klamotten von mir haben?«
»Du hast Konfektionsgröße hundert. Ich ziehe mir kein Zelt über den Kopf.«
»Wenn ich dich nicht so lange kennen würde, Henning, dann wäre ich jetzt beleidigt.«
»Sei mal nicht so empfindlich, Rolf.«

»Hallo Herr Hirsch. Es wird Zeit für die Blutdruckkontrolle und die Medikamente.«
»Schön Sie zu sehen, Pfleger Kurt. Sie schickt der Himmel.«

»Schleim dich nur gehörig ein, Henning.« Rolf drehte sich eine neue Zigarette.

Bild von: markusspiske auf pixabay

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern.

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