Der dauergeile Messie (2)

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In Teil 2 lerne ich eine hübsche Nachbarin kennen, räume immer noch auf, falle todmüde ins Bett und werde am nächsten Morgen von nem Riesenköter, der über mein Gesicht leckt, geweckt. 

Noch sechs Flaschen Cola Zero, mein neues Suchtmittel, seitdem ich dem Wodka abgeschworen hatte und ich marschierte zur Kasse. Ellenlange Schlange. Typisch; alle zur selben Uhrzeit wie ich, dachte ich und glotzte auf die Flachmänner oberhalb des Laufbands.

»Niemand außer Alkoholikern kauft das Zeug. Selbst an unserer Krankheit wollen sie noch profitieren«, sagte ich.
»Wie bitte?« Eine Rentnerin mit dunkelroter Warze auf der Nase drehte sich zu mir um.
»Ich? Nichts. Alles in Ordnung. Sie müssen sich verhört haben.«
»Habe ich nicht.«
»Kümmern Sie sich um Ihren Kram.«

Ich legte meine Sachen auf das Band und sie schaute mich entrüstet an.

Die hübsche Nachbarin aus Nummer 75

»Neu in der Gegend?«, fragte die hübsche Kassiererin, während sie Domestos und WC-Enten abscannte.
»Wie kommen Sie darauf?«
»Wer so viel Putzzeug kauft, entrümpelt sicher eine Wohnung, in die er bald einziehen will.«
»Ins Schwarze getroffen«, grinste ich und entzifferte »Swetlana Meier« auf dem Namensschild, das auf ihrem ansehnlichen Dekolleté wogte.
»Welche Straße?« Sie tippte gerade den zwanzigstelligen Code des Salmiakgeists in die Tastatur.
»Glaube: Sperlingsweg.«
»Welche Nummer?«
»Keine Ahnung. Von hier aus gesehen das vierte Haus links.«
»Das ist Nummer 77.«
»Sehen alle gleich aus die Dinger.«
»Stimmt. Sie können Sie aber an der Farbe des Eingangsbereichs unterscheiden. Bei Ihnen ist der grün, bei mir in 75 blau.«

Sie hatte mir also geschickt den Hinweis gegeben, dass wir quasi Tür an Tür lebten. Gut zu wissen.

»Sie zahlen bar oder mit Karte?«
»Bar.« Ich legte einen Fünfziger auf die Theke.
»Klar«, lächelte sie. »Tun die meisten in unserem Viertel.«
»Dann will ich mal los. Ciao.«
»Ich arbeite immer in der Spätschicht von 14 bis 20 Uhr«, rief sie mir hinterher, während ich den Wagen nach draußen auf den Parkplatz schob. Der kalte Regen hörte nicht auf. Saufdruck stieg für einen Moment in mir hoch. Ich konzentrierte mich auf andere Dinge. Nach fünf Minuten war der Spuk vorüber. Ich atmete tief durch.

Müll, Müll, Müll

Zurück in Johannes Chaos schnappte ich mir eine Rolle mit großen Plastiksäcken und warf alles, was mir nicht wertvoll erschien, hinein. Manche Stapel folgten einer gewissen Ordnung, ihr Inhalt war homogen: CD-Hüllen, USB-Kabel, T-Shirts, Versandhauskataloge. In anderen Haufen hingegen wirbelte alles wild durcheinander: Socken, Kosmetika, Instant-Puddingpulver, Paninibilder der WM 2006. Überall standen teure Elektrogeräte herum, die allerdings nur bedingt einsatzbereit waren, weil der letzte Bewohner die Innenleben entfernt hatte, sodass sie nur noch aus ausgeschlachteten Gehäusen bestanden. Die Fensterbretter übersät mit angelutschten Hustenbonbons, Zahnstochern und benutzten Q-Tips. Unmengen Senf- und Ketchupbeutel, zur Hälfte aufgerissen, flogen herum. Darüber hatte jemand im Wahn Würfelzucker verstreut. Beim Gedanken, dass ich eventuell mit vollgeschissenen Unterhosen in Kontakt geraten könnte, wurde es mir leicht flau. Kurz vor Mitternacht waren Vorraum und Wohnzimmer vom schlimmsten Müll befreit. Ich konnte den schwarzverkrusten Laminatboden erkennen. Erschöpft ließ ich mich in einen fetten Ledersessel fallen, an dem Spaghetti und Gummibärchen klebten.

Mein Telefon klingelte. Johannes meldete sich.

»Na Alter, alles okay bei dir?«
»Dass du mir eine Müllkippe hinterlässt, hättest du mir vorher verraten können.«
»Hab dich nicht so. Hast du bestimmt ruckzuck erledigt. Kenne dich und deinen Putzfimmel.«
»Spinnst du? Habe stundenlang nur vergammeltes Zeug in die Container geschmissen. Hoffe, du vermisst nichts davon.«
»Ach wo, bin froh, wenn das ganze Gerümpel endlich rausfliegt.«
»Wie konntest du es hier bloß aushalten?«
»Hatte das Zimmer einer Freundin überlassen. Die hat die Bude in vier Wochen in einen Schweinestall verwandelt. Kann ich echt nichts für.«
»Und da hast du dir schlau gedacht, dass du mit mir einen Doofen gefunden hast, der gratis klar Schiff macht. Du bist mir echt ein Freund.«
»Jammer nicht! Ohne meine Hilfsbereitschaft würdest du heute im Pennerheim um einen Platz betteln. Morgen Abend wirst du bestimmt fertig und kannst dich dann bei mir wie zu Hause fühlen.«
»Leck mich! Wo bist du?«
»Bei Tatjana. Totschicke Wohnung im Westen der Stadt. Drei Gänge im Bett haben wir hinter uns. Gleich hole ich mir noch einen Nachschlag.«
»Pass auf deinen Schwanz auf.«

Ich gähnte und ließ mich in voller Montur ins Bett fallen. Unter dem Kopfkissen ertastete ich eine leere Pulle Bourbon, die ich auf den Nachttisch stellte, bevor ich wie ein Stein wegratzte.

Ne Dogge, die sich als Golden-Retriever-Mischling entpuppt

Am nächsten Morgen leckte ein safranfarbener Hund über meine Stirn. Aus seinen Lefzen baumelten dicke Speichelfäden. »Hau ab!«, erschrocken versetzte ich dem Riesenköter eine Ohrfeige. Der jaulte und sprang in Richtung Ledersessel in die Arme eines dürren jungen Mannes mit Pickelgesicht, in dem wässrig blaue Augen unruhig flackerten. In Gedanken taufte ich ihn Frettchen.

»Könntest ein bisschen freundlicher sein, wenn wir dir dein Sonntagsfrühstück vorbeibringen.« Johannes lehnte vor dem großen Schrank an der Stirnseite des Zimmers und streckte mir eine Papiertüte entgegen.

»Wie kommt ihr hier rein?«
»Mit meinem Zweitschlüssel, natürlich.«
»Ist mir nicht so recht, dass ihr mir beim Schlafen zuseht«, brummte ich. »Wer ist der Kerl mit der Dogge?«
»Charly, ein Kumpel aus der Nachbarschaft.«
»Aramis ist ein Golden-Retriever-Mischling«, sagte Charly.
»Mir völlig latte, was für ein Vieh das ist. Er soll mich nicht besabbern.«

Johannes grinste, Charly warf mir einen bösen Blick zu.

»Hier, iss das«, Johannes reichte mir ein Rosinenbrötchen.
»Bäh, mag ich gar nicht. Gib’s dem Golden Dingens.«
»Du bist anspruchsvoll, mein Freund. Mal seh‘n, was mir die nette Bäckerin vorhin noch eingepackt hat.«

Er fischte ein Schokocroissant heraus und hielt es mir vor die Nase. Hastig griff ich danach, denn ich hatte seit vierundzwanzig Stunden keine feste Nahrung zu mir genommen. Während ich das Teil gierig runterschlang, knurrte mein Magen laut.

»Du isst zu wenig.« Johannes biss herzhaft in ein Salamibaguette, von dem die Mayonnaise auf den Laminat tropfte. Frettchen teilte sich das Rosinenbrötchen mit Aramis.
»Wie kommst du darauf?«
»Du bist abgemagert seit unserer gemeinsamen Zeit in der Reha. Gefällst mir nicht.«
»Ich fühle mich pudelwohl. Mal abgesehen von dem Müll in deiner Bude.«
»Du beklagst dich wie ein altes Weib. In ein paar Stunden hast du es geschafft. Hauptsache warm und trocken im Winter. Was willst du mehr?«
»Weshalb bist du so früh bei mir? Stress mit deiner neuen Freundin?« Ich schaute Johannes neugierig an.
—–

Hier geht’s zurück zu Teil 1.
Und hier morgen zur Fortsetzung.

Bild von Clker-Free-Vector-Images auf Pixabay

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern.

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