Frühmorgens am Fluss (1)

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Wir haben ein letztes Mal Sex, verabschieden uns im Anschluss für immer, ich setze mich frühmorgens auf meine Lieblingsparkbank am Flussufer und überlege, wie es weitergehen soll.

In ihrem Zimmer war es drückend heiß und schwül. Obwohl ich nackt auf dem Bett lag, schwitzte ich. Aus der Dunkelheit hörte ich das feine Schwirren von Moskitos.
»Henning, bist du wach?«
»So halb.«
»Ich kann in der Hitze nicht pennen. Möchtest du mit mir schlafen?«
»Gerne.«

Als Abschiedsgeschenk nochmal glühender Sex

Wir liebten uns in dieser Nacht so, als sei es für uns beide die letzte Gelegenheit, bevor wir ertrinken würden. Unsere Körper harmonierten perfekt miteinander. Wir brauchten keine überflüssigen Worte zu verlieren. Sie verschaffte mir totale Befriedigung, forderte aber ihrerseits ihre Orgasmen ein. Die größte Euphorie verspürte ich, wenn wir gemeinsam zum Höhepunkt gelangten. Sie empfand das genauso. In diesem Moment ging ein Zittern von meinem durch ihren Leib. So, als ob wir für den Bruchteil eines Wimpernschlags zu einem einzigen Wesen zusammenschmelzen würden. Dann ließen wir erschöpft voneinander ab.

»Henning, ich muss dir was sagen.« Ich schwieg.
»Hörst du mir überhaupt zu?«
»Tue ich.«
»Es ist Schluss mit uns beiden.«
»Okay.«
»Wie okay? Mehr hast du dazu nicht zu sagen?«
»Wir haben oft darüber gesprochen. Es gibt nichts Neues mehr zu diskutieren. Ich habe es verstanden.«

»Es ist echt schöner Sex mit dir. Aber das ist auf Dauer zu wenig. Ich habe zwei kleine Kinder. Die benötigen eine verantwortungsbewusste Vaterfigur. Da bist du der Falsche. Verstehst du das?«
»Ist schon in Ordnung.«
»Du bist mir doch nicht böse deswegen? Aber ich muss auch an die Zukunft denken. Lass uns Freunde bleiben. Wir können ja ab und an einen Kaffee zusammen trinken. «
»Von mir aus.«
»Was tust du da? Warum ziehst du dich an?«
»Ich gehe.«
»Jetzt? Es ist mitten in der Nacht. Bleib doch noch zum Frühstück.«
»Ist besser so.«
»Wenn du unbedingt willst. Aber pass auf dich auf. Du hast viel getrunken gestern Abend.«

Was geht dich das noch an, ob ich mir was antue? Du bist weder meine Mutter noch meine Frau. Lass mich zufrieden.

Auf meiner Lieblings-Parkbank am Flussufer

Ich lenkte meine Schritte hinunter zum Fluss. Hin zu meiner Lieblingsbank, von der aus ich zu meiner Rechten die Silhouette der Stadt und links die Wälder des großen Parks am Stadtrand erkennen konnte. Es war ruhig. Nahezu totenstill. Um diese Uhrzeit waren keine Spaziergänger unterwegs. Die Schiffe würden erst in einigen Stunden ihre Fahrt wieder aufnehmen. Ich fasste in die Innenseite meiner Jacke und ertastete zwei kleine Flaschen Wodka. Ich ließ einen Nullzweier meine Kehle hinunterrinnen. Der Alkohol verteilte sich in meiner Blutbahn und verströmte eine angenehme Wärme in meinem Körper.

Das war’s dann also gewesen. Aus und vorbei. Und das nach anderthalb Jahren. Weil sie halt einen Ernährer für sich und ihre Kinder suchte. Und das fiel ihr über zwölf Monate später ein. Weshalb hatte sie sich das nicht überlegt, bevor wir ein Paar geworden waren? Na ja, es war halt nun mal so gelaufen. Das konnte ich jetzt auch nicht mehr ändern. Ich warf die leere Flasche weit in den Fluss hinein. Wie sollte es weitergehen? Ich spürte, dass ein weiterer Abschnitt meines Lebens unweigerlich zu Ende gegangen war. Mein Kapitel mit den Frauen wurde heute Nacht geschlossen. Mein Maß war voll. Sie war die letzte in einer langen Reihe von Freundinnen gewesen, bei denen ich Gefühle investiert hatte. Es würde nie mehr geschehen. Darüber war ich mir in diesem Moment nahezu sicher.

Es war bereits ihr nur noch mit großer Überredungskunst gelungen, mich aus meiner Einsamkeit herauszulösen und ins pralle Leben zurück zu führen. Ich war nach langen Jahren zu der Erkenntnis gelangt, dass ich den Frauen nicht guttat. Anfangs versprachen sie sich viel von mir. Gingen mit mir aus, erfreuten sich an meinem Körper und an meiner Liebe. Um dann nach einiger Zeit festzustellen, dass ich doch nicht in ihr Leben passte. Wie viele Trennungen hatte ich in den vergangenen dreißig Jahren hinter mich gebracht? Ich konnte die Freundschaften nicht mehr zählen. Was nützte mir der beste Sex, wenn er mir letztlich doch keine dauerhaften Partnerschaften bescherte? Lag es daran, dass ich auch in einer Beziehung eigentlich lieber alleine sein wollte? Emma hatte es früher so ausgedrückt: »Du bist ein Fisch. Ich bekomme dich einfach nicht zu packen. Dein Körper liegt neben mir in diesem Bett. Aber dein Geist ist ganz woanders«.

Steine markieren unsere Lebensphasen

Vor vielen Jahren hatte ich Fra Bartolomeo beim Trampen in Umbrien kennengelernt. Er nahm mich mit in sein Kloster in der Nähe von Assisi, in dem ich eine komplette Woche verbrachte. Obwohl ich kein gläubiger Mensch war, machten die Freundlichkeit und Spiritualität der Franziskanerbrüder einen bleibenden Eindruck auf mich. Schon damals kamen Zweifel an meinem lockeren Lebenswandel in mir hoch. Ich verscheuchte die trüben Gedanken und feierte eine Woche lang Parties in Rimini. Mein Weg zu Gott – falls es den überhaupt gab – war eben ein anderer als der, den die Priester beschritten.

Gedankenverloren nahm ich einen Kiesel in die Hand und wollte ihn ebenfalls weit hinaus in den Fluss schleudern. Da erinnerte ich mich der Worte des Mönchs: »Wenn ein Abschnitt zu Ende geht, dann sammele einen Stein und bewahre ihn in einer Schale auf. Auf deinem Totenbett wirst du an ihnen erkennen, wie viele Phasen du durchlebt hast«. Ich ließ den kleinen Brocken in meine Tasche gleiten.

Wie würde es nun weitergehen? Die Partnerschaft war beendet. Ein für alle Mal. An dieses »lass uns gute Freunde bleiben«, glaubte ich nicht. Das war einfach so daher gesagt. Eine Floskel, um den schmerzhaften Abschied irgendwie abzumildern. Wie sollte sich glühende Liebe am Tag darauf in eine platonische Beziehung verwandeln? So was klappte nie. Ich verspürte auch keinerlei Lust, es dieses Mal auszuprobieren. Vorbei war vorbei. Ich hatte die Trennung schon lange geahnt. Seit einigen Wochen sogar vorhergesehen. Wir waren nur noch deshalb zusammen geblieben, weil keiner von uns sich getraut hatte, den Satz »c’est fini« auszusprechen.

Heute Nacht war es nun geschehen. Und das war auch gut so. Sie hatte mir zum Abschied noch einmal ihren Körper angeboten. Ich hatte unseren letzten Sex genossen, und nun war es eben erledigt. Mein Verstand hatte sich mit dem Abschied schon längst abgefunden. Einzig meine Emotionen hinkten hinterher. Ich hasste es, wenn meine Gefühlswelt aus den Fugen geriet.
—–

In der morgigen Fortsetzung suche ich mal wieder schnelles Vergessen in (zu viel) Alkohol.

Bild von Thomas Hendele auf Pixabay

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern.

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