In A Gadda Da Vida

You are currently viewing In A Gadda Da Vida

Ron sieht zuerst überall Klapperschlangen rumkriechen und trommelt dann ein Solo für die Ewigkeit … weshalb Halluzinogene und Whiskey mitunter eine tödliche Kombi bilden 

Wohin ich meinen hallenden Kopf auch bewegte – riesige bunte Seifenblasen, die entweder rot aus purpurnen Wolken herabregneten oder blau aus türkisen Wiesen nach oben gen Himmel stiegen. Mir im Nacken ein Truckfahrer, dessen Gesicht – in meinem Rückspiegel betrachtet – der Fratze der Medusa ähnelte: Haare wie Klapperschlangen, glühende Kohlestücke als Augen, die schuppige Haut eines Leguans, aus dem weit geöffneten Maul hing eine dreifach gespaltene schwarze Zunge heraus. Speichel perlte in gelatineartigen Tropfen von seinem Kinn und zerplatzte auf der grünen Brust. Das Ungeheuer verfolgte mich seit drei Kreuzungen.

Ich trat nun mit Gewalt auf das Gaspedal und beschleunigte den Pontiac Firebird von vierzig auf achtzig Meilen. An der nächsten Ampel bog ich mit quietschenden Reifen von der Lincoln in Richtung Venice ab und hatte den Satan abgeschüttelt. Der fliegende Takt meines Herzens normalisierte sich, ich drosselte die Geschwindigkeit und fuhr gemächlich den Ocean Park Boulevard entlang, bis ich das Gebäude von ATCO Records erreichte. Ich parkte die Limousine in einer Sackgasse um die Ecke, kletterte mit Beinen wie zähflüssiges Gummi aus dem Wagen und schleppte mich in Richtung Eingangsportal. Der bisher spiegelglatte Pazifik bäumte sich jäh auf und spie turmhohe Wellen in den Himmel. Eine dunkelviolette Gewitterwand raste von Westen heran. Mit rasselndem Atem rettete ich mich in den Aufzug hinein. Ich hätte vorhin eine kleinere Dosis nehmen sollen. Warum hatte ich mich bloß von Chelsea bequatschen lassen, vier Pillen auf einmal zu schlucken?

Bourbon gegen den Turkey

»Hi Ron, du siehst aus wie der leibhaftige Tod. Auf welcher Party hast du wieder abgehangen? Und das ausgerechnet heute bei unserer letzten Aufnahme. Kannst du überhaupt spielen?«
»Ich bin fit. Kein Problem. Habe nur schlecht geschlafen.«
»Red‘ keinen Scheiß. Du hast dir irgendwas eingeworfen. Und wahrscheinlich zu viel davon. Das Zeug wird dich eines Tages umbringen.«
»Mir geht es gut. Brauche nur eine Kanne starken Kaffee.«
»Trink lieber einen Four Roses. Sonst bist du gleich auf Turkey und triffst die Drums nicht. Das können wir uns auf keinen Fall leisten.«
»Hast sicherlich recht, Doug. Hat jemand einen Whiskey für mich?«
»Klar, das hier ist ein Tonstudio und kein Verein für abstinente Jungfern. Sauf direkt die halbe Pulle aus, dann hört das verdammte Zittern in deinen Fingern auf.«
»Danke.«
»Schon okay. Und trenn dich von der Schlampe Chelsea. Die befördert dich ansonsten ins Grab.«

»Hey Jungs, seid ihr bereit?« Joe, der Aufnahmeleiter fummelte ungeduldig an den Knöpfen seines Mischpults herum.
»Jap, wir können loslegen.«
»Wie heißt der gottverdammte Song gleich noch? Hab’s wieder vergessen.«
»In the Garden of Eden. Merk dir das endlich, Joe. Kann für dich als gläubigen Mormonen doch nicht so schwierig sein.«
»Nur weil ich gerne mit hübschen Frauen ausgehe, bin ich kein Mormone.«
»Nein, du bist bloß ein notgeiler Familienvater, der jeden Tag mit einem unserer Groupies vögelt. Ein spießiger Musikarbeiter, der glaubt, mit vierzig weiterhin die Sau rauslassen zu müssen. Eine durch und durch kleinbürgerliche Existenz, die mich tödlich langweilt. Und jetzt lass uns wirklich anfangen!«

Trommelwirbel für die Ewigkeit

Als Doug die Tasten der Orgel sanft berührte, verwandelte sich der kleine Übungsraum innerhalb Sekunden in eine gotische Kathedrale. Andächtig lauschte ich den orphischen Klängen, die er wie ein Zaubermeister dem Keyboard entlockte.

Ich hatte die Flasche Bourbon beinahe geleert, das Blut pulsierte warm in meinen Adern. Auf ein Zeichen von Joe hin griff ich die abgewetzten Holzstöcke und streichelte behutsam die Felle der Tomtoms. Allmählich steigerte ich das Tempo, strich mit den Sticks über die Timbales, wirbelte einen Long Roll auf die Snare-Drum und bearbeitete mit dem rechten Fuß die Hi-Hat. Der Rhythmus nahm Fahrt auf, ich trommelte mich in Trance. Immer und immer wieder ließ ich die Schlegel auf die Cymbals niederprasseln. Mein Hemd klebte klatschnass wie eine zweite Haut am Körper.

Mit einem Mal wölbte sich die Ziegelwand an der Stirnseite des Raums mir entgegen, verformte sich in menschliche Konturen, ein weibliches Wesen schälte sich aus ihr heraus, stand neben mir und schlang die weißen Arme um meinen Hals. Ich erkannte Chelsea, die mich mit schiefem Mund angrinste; mir: Du weißt, dass ich gerade mit Linda im Bett liege, ins Ohr flüsterte und verschwand. Ich hämmerte weiterhin auf die Becken; versuchte, mir den Dämon aus dem Leib zu prügeln. An der Glasscheibe, hinter der ich Joe feixend am Mischpult erspähte, bildete sich ein transparenter Ballon, der sich rasend schnell vergrößerte und wie eine monströse Qualle über mich und das Schlagzeug stülpte, uns geradezu verschlang. Die Geräusche um mich herum verstummten. Ich spürte nur noch den Galopp meines Herzens und den Beat der Trommeln. Der wabernde Organismus füllte sich rasch mit Blut, das von oben auf mich herab tropfte, sich klebrig auf die Membranen legte, in zähen Fäden an den Stöcken baumelte und die Perkussion verstopfte. Ich wehrte mich mit allen Kräften gegen das Ertrinken in der Glaskugel. Die Meduse zerplatzte plötzlich in tausend gallertartige Fetzen, und jemand riss mir die Sticks aus den Händen.

»Genug gewirbelt, Ron. Anstatt drei hast du zehn Minuten auf die Metallscheiben eingedroschen.«
»Sorry, Doug, weiß auch nicht, was mit mir los war. Soll nicht wieder vorkommen.«
»Nein, nein. Das war echt phänomenal. Ein tolles Solo.«

»Hey Jungs, seid ihr völlig meschugge? Vereinbart hatten wir maximal acht Minuten für den kompletten Song. Und ihr habt siebzehn draus gemacht. Was ist mit eurem Schlagzeuger los? Dem quellen die Augen aus den Höhlen wie dem Thunfisch, den ich letzte Woche aus dem Pazifik rausgezogen habe. Was für eine Bullenkacke. Die ganze Aufnahme für den Arsch. Der King wird uns die Eier abreißen. Das Masterband können wir in die Tonne kloppen.«
»Du bist und bleibst ein hirnloser Idiot, Joe. Ron hat das super gemacht. Wir lassen es, wie es ist. Besser werden wir es nicht mehr hinkriegen. Mit dem Boss rede ich. Dem wird das sicher gefallen, da zerbrich dir mal nicht deine weiche Birne.«
»Wenn du es meinst, Doug. Du bist der Chef im Ring. Wie lautet der Name des Stücks?«

»Sag du es dem Trottel, Ron. Ich habe keine Lust mehr, mich mit dem Banausen zu unterhalten.«
»In a gadda da vida oder so ähnlich.«
»Ron, du bist vollkommen hinüber. Ich bringe dich nach Hause, da kannst du deinen Rausch ausschlafen.«

Blutige Überraschung zu Hause

»Soll ich dich hochbegleiten, Ron?«
»Alles in Ordnung, Doug. Ich schaffe das alleine.«
»Das war vorhin ein Jahrhundertsolo von dir. Das Beste, was ich je von einem Drummer gehört habe.«
»Danke für die Blumen. Ich habe einfach drauflos gehämmert. Mir nichts dabei gedacht. Wie ferngesteuert.«
»Glaube ich dir aufs Wort. Und jetzt leg dich aufs Ohr. Und tu mir einen Gefallen: trenn dich von Chelsea. Das Flittchen ist nicht gut für dich. Du läufst seit Wochen rum wie dein eigener Geist.«
»Werde drüber nachdenken, Doug.«

Ich wankte durch den schimmligen Flur des Appartementblocks und schlich die quietschende Treppe nach oben zu meiner vergammelten Bude. Bereits dieser kurze Marsch erschöpfte mich völlig. Schweißgebadet langte ich an der Wohnungstür an und stellte verwundert fest, dass sie halb geöffnet in den Angeln pendelte. Hatte ich sie vorhin beim Hinausgehen nicht geschlossen?

Chelsea lag bäuchlings auf der Couch im Wohnzimmer. Sie rührte sich nicht, schien tief zu schlafen.
»Wach endlich auf, du Miststück!« Ich rüttelte an ihren Schultern.
Als ich sie umdrehte, starrte ich in ein blau angelaufenes, schmerzverzerrtes Gesicht. An ihrem strangulierten Hals pendelte eine feine Nylonschnur. Hinter dem Sofa entdeckte ich den nackten Leichnam von Linda in einer riesigen, schon halbgetrockneten Blutlache. Das lange Küchenmesser steckte tief in ihrer Brust. Ich übergab mich zweimal auf den Teppichboden. Die Kotze stank nach Bourbon.

Was hatte ich heute früh nur getan? Ich erinnerte mich an nichts.

Bild von Clker-Free-Vector-Images auf Pixabay

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern.

Schreibe einen Kommentar