Hooligans am HBF (1)

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Ich habe tierischen Brand, will mir am HBF ein paar Bier besorgen und treffe dort auf Reinhold mit seinen Effzeh-Hooligans.

Sonntagabend. 20.53. Bahnhofsvorplatz.
Mein Schädel schmerzte. Die Beine fühlten sich an wie Pudding. Das Herz schlug zu schnell. Ich war von dem kurzen Fußmarsch völlig außer Atem. Sonntage hasste ich geradezu. Alle Supermärkte und Kioske in unserem Viertel waren geschlossen. Nur die arabischen Internetcafés hatten geöffnet. Aber die verkauften einzig Softdrinks und diesen Shishadreck. Alkohol bekam ich um diese Uhrzeit nur am Bahnhof. An den Wochenenden geriet meine Vorratsplanung immer durcheinander. Besorgte ich am Samstag zu viel, trank ich noch mehr, als ich es ohnehin schon tat. Deckte ich mich mit zu wenig ein, reichte der Stoff nur bis zum nächsten Mittag. Das war wirklich ein nahezu unlösbares Dilemma. Also für mich als Säufer.

Unliebsame Begegnung mit nem Suchtklinik-Bekannten

Vor dem Eingangsportal stand eine Gruppe FC-Fans. Hat Köln heute gespielt? Ich wusste es tatsächlich nicht. War mir in diesem Moment auch vollkommen gleich. Und das mir, der ich die Partien meiner Mannschaft auch im Ausland am Transistorradio verfolgte. Die Jungs lärmten rum, machten einen aggressiven Eindruck auf mich. Rund drei Dutzend Polizisten hielten sich in unmittelbarer Nähe bereit. Sind wahrscheinlich Hooligans. Scheißpack. Ich marschierte weiter in Richtung Getränkestand.

»Henning, du alter Dreckskerl. Bleib mal stehen!« Ich drehte mich um. Eine Gestalt hatte sich aus dem Pulk gelöst und lief mir entgegen. Das war Reinhold.

Wir waren uns in der Vergangenheit schon öfter begegnet. Es waren keine angenehmen Zusammenkünfte gewesen. Entweder in der Suchtklinik oder in diversen Intensivstationen. Er war einer der Säufer von der besonders ruppigen Sorte. Trank, streunte herum, prügelte sich, wurde in Polizeigewahrsam genommen, am nächsten Morgen entlassen, soff weiter bis zum bitteren Ende. Einer der Typen, die mit sechs Promille noch stehen konnten. Und darauf auch noch besonders stolz waren. Er prahlte gerne mit seinen Alkoholexzessen. Wir hatten uns nie sonderlich gemocht.

Vor acht Wochen hatte ich ihn das letzte Mal in der Entgiftung gesehen. Ich hatte das Schlimmste hinter mir. Er war sturzbetrunken, setze sich ungefragt an meinen Tisch und begann zu erzählen. Wirres, unsortiertes Zeug. Halt dieses typische Gelabere, wenn man noch vier Promille in der Blutbahn hatte. Ich hörte schweigend zu. Es interessierte mich nicht die Bohne. Nach einigen Minuten sagte ich ihm, dass mich sein Geschwätz störte. So ähnlich wie Fliegengesumm in meinen Ohren. Reinhold nahm es übel auf. Fing an, mich zu beleidigen. Spontan packte ich ihn in den Schritt seiner schlabbrigen mausgrauen Jogginghose und sprach leise: »Hör auf. Sonst drücke ich richtig zu.« Seit diesem Moment ging er mir aus dem Weg. Flüsterte zwar hinter meinem Rücken, dass ich ein arroganter Spinner sei; aber das ließ mich kalt. Hauptsache, ich hatte meine Ruhe vor ihm. In manchen Kliniken musste man sich Respekt verschaffen, ansonsten war man schnell in einer Opferrolle.

Bier oder Wodka? Letztlich auch egal

Nun also Reinhold. Würde er unser jüngstes Treffen vergessen haben? Ich vermutete mal: eher nein. Er lief direkt auf mich zu. Hatte sich aus seiner Gruppe Hooligans gelöst. Und ich selbst befand mich in diesem erbarmungswürdigen Zustand. War kaum in der Lage, mich senkrecht auf den Beinen zu halten. An Weglaufen oder gar Wehren war überhaupt nicht zu denken. Ich schloss die Augen und erwartete seine Faust auf meinem Nasenbein. Ein Arm schob sich um mein Genick. In meinem linken Ohr hörte ich: »Henning, du Gauner. Schön, dass ich dich hier sehe«. Reinhold roch nach Schnaps.

»Reinhold, was machst du denn hier?«
»Ich war beim Spiel; du etwa nicht?«
»Nein. Hab’s glatt verpasst. Wie ist es denn ausgegangen?«
»Wir haben gewonnen. 3 zu 1.«
»Das freut mich. Echt.«
»Möchtest du was trinken? Siehst durstig aus, Henning.«
»Lass gut sein. Ich kaufe mir gleich was am Kiosk.«
»Brauchst du nicht. Ich spendiere dir Einen.« Reinhold griff in seinen Rucksack und holte zwei kleine Flaschen Wodka heraus.

»Lass es dir schmecken, Henning!«
»Schnaps. Ich weiß nicht. Wollte eigentlich Bier besorgen.«
»Stell dich nicht an wie eine Muschi. Los, runter damit!«

Weshalb nicht? Ich wollte morgen ohnehin ins Krankenhaus fahren. Mit welchem Zeug ich mich an diesem Abend in den Orbit schoss, war einerlei. Der Wodka brannte in der Kehle. Lief aber wie geschmiert meine Speiseröhre hinunter. Es war immerhin ein Nullzweier gewesen. In einem Schluck. Ich hatte echt Brand.

Auf ein kurzes Stelldichein mit Schalke-Fans

»Henning, hast du Lust, gleich mitzukommen? Wir sind noch mit ein paar Schalkern unten am Fluss verabredet. Wir wollen mal schauen, wer als Sieger vom Platz geht. Nur Fäuste. Keine Holzknüppel oder Eisenstangen.«
»Ein anderes Mal gerne, Reinhold. Bin aber heute nicht so richtig in Form für so was. Fühle mich schlapp. Bin für morgen in der Klinik angemeldet.«
»Ja, siehst müde aus. Dann bis zum nächsten Mal. Ich muss los.«

Ich hasste Hooligans. Wie viele Spiele des FC hatten die mir in der Vergangenheit versaut? Unzählige. In den Siebzigern und Achtzigern als Köln noch oben mitspielte. In den glorreichen Zeiten von Overath, Flohe, Neumann, van Gool und Tony Woodcock. Ich als Jugendlicher mit Schülerticket für vier Mark bei jedem Heimspiel mit dabei. Mit hundert Meter langem rotweißen Schal um den Hals. In der stets ausverkauften Südkurve des Stadions. Ich wurde Zeuge grandioser und hochdramatischer Partien. Nach dem bitteren Aus gegen Nottingham im Halbfinale des Landesmeisterpokals verbrannten wir weinend draußen auf der Wiese unsere Fahnen. Und fuhren schweigend mit der Straßenbahn nach Hause.

Die Schläger interessierten sich überhaupt nicht für das Spiel. Die warteten nur darauf, dass ein unvorsichtiger Ordner die Tore zwischen den beiden getrennten Fanblocks einen Spalt öffnete, und schon rannten sie wie auf ein geheimes Zeichen hin los. Ich erlebte übelste Prügeleien. Blut floss, es gab Verletzte. Und ich als Jugendlicher eingezwängt in der tobenden Menge mittendrin. Beim ersten Mal verspürte ich noch eine panische Angst. Im Laufe der Monate gewöhnte ich mich daran. Ab und an erwischte es mich entweder in der Kurve oder auf dem Nachhauseweg. Ich war halt zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Meine Mutter erteilte mir Stadionverbot. Als ob mich das damals gejuckt hätte. Ich blieb ein treuer Anhänger des FC. Hooligans hin oder her.

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Bild von Dimitris Vetsikas auf Pixabay 

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern.

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