In einem anderen Studio (1)

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Ich verdiene zwischendurch ein paar Kröten in nem Call Center und handele mir da Ärger ein, weil ich einen Verbesserungsvorschlag nicht auf dem richtigen Dienstweg eingereicht habe.

Hochsommer. Dienstag. 10.23.
»Und jetzt sind wir am Ende des Gesprächs angelangt. Haben sie vielen Dank, dass sie sich so viel Zeit für mich genommen haben.«
»Das Vergnügen lag ganz auf meiner Seite. Ich bin beim nächsten Mal gerne wieder dabei.«
»Das ist sehr freundlich von ihnen. Wir melden uns dann im nächsten Jahr wieder. Auf Wiederhören.«
»Ja. Wiederhören.«

Du hast den Dienstweg nicht beachtet

Es tutete in der Leitung. Die Dame auf der anderen Seite hatte aufgelegt. Ich wiegte meinen Kopf von links nach rechts. Das Genick war während der Unterhaltung leicht steif geworden. Rund dreißig Minuten. Nicht schlecht für einen Dienstagmorgen. In meinem Kopfhörer knackte es. Die Supervision rief mich an:

»Hi Henning, ich bin’s Monika. Hast du gut gemacht. Bekommst du fünfzehn Punkte für. Ich geb‘ dir ja immer die Höchstnote.«
»Ich weiß. Das ist sehr nett von dir.«
»Ich höre dir wirklich gerne zu. Du hast so eine Stimme, die könnte man auch für eine Meditations-
CD gebrauchen.«
»So einschläfernd?«
»Nein, nein. Irgendwie beruhigend. Dir würde ich auch eine Kreuzfahrt am Telefon abkaufen.«
»Danke für die Blumen.«
»Ach Henning, da ist noch was. Heike möchte dich sprechen.«
»Was will die denn von mir?«
»Weiß nicht so genau. Es sei dringend. Also jetzt sofort. Geh bitte direkt zu ihr.«

10.39
Heike war die Gleichstellungsbeauftragte des Instituts. Mit einem eigenen Büro. War die Leiter raufgefallen. Vor einigen Monaten saß sie noch zusammen mit uns in derselben Reihe. Ich klopfte an ihre Türe:

»Henning komm rein. Schön, dass du dich beeilt hast.«
»Hallo Heike, was gibt’s so Wichtiges?«
»Die wissenschaftliche Abteilung hat sich bei mir gemeldet. Du hast vor zwei Wochen einen Verbesserungsvorschlag eingereicht.«
»Ja habe ich. Was hast du damit zu tun?«
»Ich bin die Qualitätsbeauftragte des Studios.«
»Seit wann denn das?«
»Knapp vier Wochen. Dazu gab es auch eine Hausmitteilung. Hast du die etwa nicht bekommen?«
»Keine Ahnung. Vielleicht ja, vielleicht nein. Hier schwirren so viele Infos rum. Nahezu unmöglich, sich die alle zu merken.«
»Gut, nun weißt du es.«
»Du machst jetzt also Qualität?«
»Und Gleichstellung.«
»Und was hat das mit meinem Vorschlag zu tun?«

Heike streckte ihre Wirbelsäule durch und beugte sich über ihre gläserne Tischplatte nach vorne. Sie musterte mich mit strengem Blick. Ihre Hände hielt sie gefaltet:

»Du hast den Dienstweg nicht beachtet.«
»Seit wann gibt es bei uns Dienstwege? Davon höre ich zum ersten Mal.«
»Die gab es schon immer. Das weißt du ganz genau.«
»Von mir aus. Und wo habe ich den angeblich verlassen?«
»Du hättest dein Memo zuerst mir vorlegen müssen.«
»Was hast du mit den Details von Fragebögen zu tun? Du kümmerst dich um die Frauen.«
»Und um die Qualität. Ich sagte es bereits«

Mein Verbesserungsvorschlag stößt auf taube Ohren

»Heike, wenn ein Fragebogen schlecht läuft, dann informiere ich immer den wissenschaftlichen Mitarbeiter, der ihn verfasst hat. Scheint mir auch logisch zu sein. Je mehr Stationen durchlaufen werden, desto größer ist die Gefahr, dass zwischendurch Informationen verloren gehen.«
»Du hast den Dienstweg verletzt. Das ist bei dir auch nicht das erste Mal. Steht ja schon rot markiert in deiner Personalakte drin. Du musst deine Verbesserungen erst mir vorlegen. Ich studiere und kommentiere die und reiche sie dann weiter.«
»Du analysierst oder du zensierst?«
»Was meinst du damit?«, Heikes Stimme klang jetzt schneidend.

»Nimm’s mir nicht übel. Wenn ich meine Vorschläge erst dir gebe, dann kann ich es auch direkt ganz sein lassen.«
»Weshalb?«
»Weil du das Memo nicht studierst, sondern in den Papierkorb wirfst. Heike, nimm’s nicht persönlich; aber du bist keine Marktforscherin. Du kontrollierst unsere Produktivität. In Ordnung. Von den einzelnen Fragestellungen hast du jedoch keinen blassen Dunst. Weshalb also sollte ich dir vorher was in die Hand drücken? Ergibt überhaupt keinen Sinn für mich.«
»Du willst dich also unbedingt mit mir streiten. Nun gut. Ich wollt’s eigentlich verhindern. Aber du zwingst mich dazu. Ich werde Hakan über dein Benehmen in Kenntnis setzen. Dann kannst du das mit ihm diskutieren.«
»Tu, was du nicht lassen kannst.«

Hakan war der Produktionschef des Studios. So eine Art Supercontroller. Vor dem kuschten alle. Der brauchte nur durch den zentralen Flur zu gehen, an Reihe 27 kurz zu stoppen, die linke Augenbraue anzuheben und weiterzuspazieren. Ohne irgendetwas zu sagen. Und schon war Reihe 27 in heillose Aufregung versetzt. Oft drehte es sich nur um Pillepalle. Ein Interviewer hatte seinen Kaffee neben die Tastatur gestellt. Und das erregte eben Hakans Unmut. Auf so etwas achteten die halt in diesem Laden. Mich ließ er in Ruhe. Meine Bewertungen waren bisher in Ordnung gewesen. In den Pausen fachsimpelte ich mit ihm ab und an über den türkischen und englischen Fußball. Das waren seine beiden Lieblings-Ligen.

Den Vorschlag zurückziehen, um Ärger zu vermeiden?

11.02
Auf dem Gang kam mir Monika entgegen. Mit einem Lächeln auf den Lippen. Wir mochten uns. Waren aber noch nie miteinander ausgegangen. War auch besser so. Sie war meine direkte Vorgesetzte. Hatte auch seit einigen Monaten einen jungen Liebhaber. Da war’s immer vernünftiger, sich zurückzuhalten.

»Henning, wie war es bei Heike?«
»Warum fragst du? Weißt du doch eh schon.«
»Ja. Sie hat mich direkt danach angerufen. Sie ist echt sauer auf dich.«
»Mir vollkommen schnurz.«
»Das sagst du so einfach daher. Sie kann dir echt Ärger bereiten.«
»Indem sie mich zu Hakan schickt?«
»Zum Beispiel. Und der streicht dir Schichten. Dann geht’s an Portemonnaie.«
»Von mir aus.«

»Nun sei doch nicht so stur. So kenne ich dich gar nicht. Bist doch sonst recht flexibel.«
»Weil’s mich halt ärgert. Was hat Heike mit den Fragebögen zu tun?«
»Als Qualitätsbeauftragte ist sie die Schnittstelle zur wissenschaftlichen Abteilung.«
»Du meinst wahrscheinlich: der Flaschenhals. Und damit gar nichts durchgeht, stopft sie noch einen Korken drauf.«
»Henning, Heike hat Druck von oben. Sie darf nichts mehr weiterleiten. Es gab in letzter Zeit viel zu viele Vorschläge.«
»Ja, zur Beleuchtung auf den Toiletten und der Farbe der Stühle in der Kantine. Aber zu den Inhalten der Fragebögen? Das kommt ganz selten vor, dass sich dazu mal jemand Gedanken macht. Neunundneunzig Prozent der Interviewer nudeln die Gespräche einfach runter. Vollkommen egal, was für einen Quatsch sie da abfragen. Augen zu und durch. Das weißt du genau so gut wie ich. Du hörst dir den Unsinn ja jeden Tag an.«
»Henning ,ich versteh dich. Du hast das mal studiert. Hast früher bessere Zeiten gesehen. Das wissen alle von den Supervisoren. Auch Heike und Hakan. Wir bevorzugen dich ja deshalb vor den anderen. Hören nicht so oft in deine Gespräche rein. Geben dir gute Bewertungen. Du bekommst die interessanten Projekte. Aber, verstehe bitte auch uns. Heike tut nur das, was die Geschäftsführung von ihr verlangt. Sie macht ihren Job. Sei bitte einsichtig. Mir zuliebe. Du
weißt, dass ich dir immer den Rücken freihalte.«
»Ich überleg’s mir. Vielleicht mache ich einen Rückzieher. Ich will nicht, dass du Ärger meinetwegen bekommst, Monika.«

Der Kollege, der nebenbei Frauen aus dem Katalog anbietet

11.20
Ich ging zurück an meinen Platz und schnappte mir den dort abgestellten Rucksack. In der Zeit meiner Abwesenheit hatte sich Jimmi auf den freien Stuhl neben mir gefläzt. Einer von diesen jovialen Typen. Der mit allen gut Freund war. Überhaupt nicht meine Masche. Ich konnte ihn trotzdem gut leiden. Er hatte früher auf einem Schiff gearbeitet. Als Kellner. Da erzählte er gerne von. An welchen Häfen er schon überall angelegt hatte, und wie die Bräute da waren. Vor zwei Wochen hatte er einen Katalog mit thailändischen Frauen dabei, die er vermitteln könnte. Der kam immer auf Ideen.

»Hi Henning. Hast du Stunk mit Heike?«
»Woher weißt du das?«
»Das pfeifen doch schon die Spatzen vom Dach.«
»Habe jetzt keinen Bock, lange darüber zu reden.«

11.25
Die Toiletten waren blitzblank. Da konnte man vom Boden essen. Wurden mehrmals täglich gereinigt. Darauf legte die Geschäftsleitung großen Wert. Seit neuestem gab’s auch eine Gebetsecke für die Interviewer muslimischen Glaubens. Dafür hatte sich der zuständige Abteilungsleiter gehörig feiern lassen. Mir wär’s lieber gewesen, sie hätten meine Sozialabgaben bezahlt. Der Teppich nützte mir nichts. Ich überlegte, ob ich entweder eine Dose Bier oder eine kleine Flasche Wodka trinken sollte. Ich entschied mich für den Schnaps. Den konnten die anderen nicht so gut wahrnehmen. Bier war riskanter. Das rochen die Nebenleute. Vor zwei Wochen war der nette ältere Herr in der Reihe links hinter mir vom Stuhl in den Gang gekippt. Sturzbetrunken. Notarzt, Rettungstransport. Der ganze Schnickschnack. Dem hatten sie zusätzlich zu dem ganzen Schlamassel danach noch ein zweijähriges Studioverbot erteilt. Er hatte mir beinahe Leid getan. Nun ja, jeder war für sich selbst verantwortlich. Er hatte es halt übertrieben. Das konnte mir nicht passieren.

Trotzdem war es besser, vorsichtig zu bleiben. Man wusste es nie, wann und wo sie einen gerade beobachteten. Vielleicht hatten sie auch auf dem Klo, direkt über mir, eine versteckte Kamera installiert. Ich streckte meinen linken Mittelfinger nach oben und dachte: Fuck you.
—–

Hier geht’s morgen zu Teil 2, in dem ich zusätzlichen Ärger bekomme, weil ich heimlich auf der Toilette trinke.

Bild von Tumisu auf Pixabay

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern.

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