In einem anderen Studio (2)

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In Teil 2 bekomme ich zusätzlichen Ärger, weil ich auf der Toilette nen kleinen Wodka getrunken habe und mich jemand bei der Geschäftsleitung verpetzt hat. Meine Kennzahlen seien auch nicht so gut, was ich vehement bezweifele. Am Ende einigen wir uns auf eine Woche Zwangsurlaub.

13.49
Hakans Büro. Größer als das von Heike. Mit einer Ledergarnitur. Aufgeräumter Schreibtisch. Vor sich nur einen Laptop, ein weißes Blatt Papier und einen teuren Füller. Hakans Blick war auf den Monitor gerichtet, in dem er die minutengenauen Produktionszahlen studierte.

Meine Kennzahlen seien auch nicht okay

»Henning, setz dich. Möchtest du ein Glas Wasser?«
»Mach kein extra Aufhebens wegen mir.«
»Du hattest Stress mit Heike?«
»Wir haben diskutiert.«
»Über deinen Verbesserungsvorschlag?«
»Ja.«
»Du weißt, dass du den Dienstweg verletzt hast?«
»Seit wann gibt’s bei uns diesen Dienstweg? Das hat doch früher niemanden gejuckt.«
»Die neue Geschäftsführung will das.«
»Das heißt: ab sofort keine Anmerkungen mehr?«
»Das ist nicht zutreffend. Vorschläge ja. Aber über Heike.«
»Dann brauche ich sie gar nicht erst einzureichen.«
»Wie soll ich das verstehen?«

»Hakan, du weißt genau so gut wie ich, dass Heike von wissenschaftlicher Marktforschung keine Ahnung hat. Sie wird meine Hinweise noch nicht mal lesen. Sie kloppt die unverzüglich in den Mülleimer.«
»Ach, daher weht der Wind. Der neunmalkluge studierte Marktforscher will uns Nicht-Akademikern mal zeigen, wo es lang geht. Die Nummer läuft hier aber nicht. Du bist genauso ein Interviewer wie alle anderen auch. Für dich gelten keine Sonderregeln.«
»Was für Sonderregeln? Ich mache den gleichen beschissenen Job wie meine Kollegen.«
»Und verdienst doppelt so viel wie beispielsweise Jimmi.«
»Weil ich auch zweimal so viele Stunden hier verbringe«
»Du sagst es. Wir genehmigen dir sehr viele Schichten. Mehr als im Durchschnitt üblich.«
»Ihr genehmigt mir die? Du willst damit ausdrücken, dass ich gnadenhalber sechzig Stunden die Woche bei euch arbeite?«
»Das hast du gesagt. Fakt ist, dass wir andere benachteiligen, wenn wir dir mehr Stunden einräumen. Lass uns mal deine Kennziffern anschauen.«

»Monika meint, die sind in Ordnung. «
»Oberflächlich betrachtet: ja. Du hast eine gute Abschlussquote. Freundliche Gesprächsführung. Aber du brauchst zu lange pro Interview. Zehn Prozent länger als der Durchschnitt.«
»Und liefere dadurch bessere Ergebnisse.«
»Das tut nichts zur Sache. Du bist langsamer als deine Kollegen. Letztlich schadest du dadurch dem Gewinn der Firma und damit allen Mitarbeitern.«
»Also haben wir das Haar in der Suppe gefunden.«
»Wie meinst du das? Das sind Fakten, die ich dir hier präsentiere. Keine Spinnereien.«
»Hakan, dieser Laden verfügt über so viele Kennziffern. Es ist unmöglich, die alle gleichzeitig zu erfüllen. Sie widersprechen sich sogar.«
»Du willst die Kennzahlen anzweifeln? Das hat bisher noch keiner gewagt.«
»Die sind komplett arbeitgeberlastig. Man könnte sogar sagen: menschenverachtend.«
»Henning, übertreibe es jetzt nicht. Bisher haben wir dich alle geschützt. So eine Protektion kann auch wegfallen.«
»Was soll das heißen?«

Spione auf dem Herren-Klo

»Wir haben erfahren, dass du trinkst. Heimlich auf der Toilette.«
»Woher?«
»Das tut jetzt nichts zur Sache. Wir wissen es halt. Das muss genügen. Mit deiner Beschäftigung verstoßen wir gegen unseren Ethikkodex.«
»Was für ein dusseliger Ethikkodex? Die Hälfte der Belegschaft säuft, kifft oder nimmt andere Drogen. Ihr wisst das und akzeptiert es. Weil ihr sonst nicht genug Dumme findet, die für euch arbeiten möchten.«
»Jetzt reicht es mir endgültig. Ich wollte wohlwollend sein. Die Sache unter den Tisch fallen lassen. Aber du zwingst mich. Die nächste Woche kannst du dir Urlaub nehmen. Deine Schichten sind gestrichen.«
»Okay. Du sitzt am längeren Hebel, Hakan. Wir haben ja noch nicht einmal einen Betriebsrat, bei dem ich mich beschweren könnte. Wurde letztes Jahr von der Geschäftsführung boykottiert.«
»Den kannst du ja nach deiner Rückkehr ins Leben rufen«
»Ich überleg’s mir.«

14.23
Monika passte mich vor der Cafeteria ab. Sie schien sauer zu sein.
»Henning, lass uns kurz nach draußen in den Garten gehen.«
»Wozu? Willst du dich mit mir in die Sonne legen?«
»Rede nicht so ein dummes Zeug. Ich will mich mit dir unterhalten. Unter vier Augen. Ich möchte nicht, dass uns jemand belauscht.«

14.26
»Weshalb hast du dich nicht an unsere Abmachung gehalten?«
»Was für eine Abmachung?«
»Du hattest mir versprochen, vernünftig zu sein.«
»War ich.«
»DU warst vernünftig? Hakan war fuchsteufelswild. Hat mich am Telefon angeschrien.«
»Monika, tut mir leid. Das wollte ich nicht.«

Monika redet mir ins Gewissen

»Weshalb hast du nicht zurückgezogen? Ich meine, die Fragebögen. Wen interessiert das, ob die wissenschaftlichen Standards genügen? Die sind vom Klienten abgesegnet und laufen in dieser Form seit über zehn Jahren. Da wird nichts mehr verändert. Punkt.«
»Und genau das ist der Verstoß gegen die Wissenschaftlichkeit. Nämlich erkannte Fehler nicht zu verbessern, sondern stattdessen jedes Jahr erneut die falschen Fragen zu stellen.«
»Bist du Jesus ? Die Aktion läuft Jahr für Jahr. Ohne Änderungen daran vorzunehmen. Das ist wie eine Milchkuh, die automatisch gemolken wird. Die Geschäftsleitung weiß, dass der Fragebogen Fehler enthält. Der zuständige Marketingchef beim Kunden weiß es auch. Aber niemand möchte darüber sprechen. Weil’s ansonsten peinliche Rückfragen geben könnte. Schlimmstenfalls wird uns das gesamte Projekt entzogen. Und damit würden bei uns Arbeitsplätze wegfallen. Das musst du doch verstehen. Bist doch sonst nicht auf den Kopf gefallen.«

»Jaja, das Argument mit den gefährdeten Arbeitsplätzen. Zieht immer. Dabei geht’s ja erst mal darum, dass sich unser Direktor für grob fahrlässige Marktforschung verantworten müsste. Sein eigener Arsch interessiert den doch mehr als die Jobs von uns Interviewern.«
»Henning, bist du Gewerkschafter geworden? Was ist los mit dir? So kenne ich dich gar nicht.«
»Ich gönne mir jetzt eine Auszeit.«
»Eine Woche. Bin im Bilde. Kannst froh sein, dass Hakan dich nicht länger gesperrt hat.«
»Da kann ich mich ja nun in Ruhe sieben Tage lang erholen.«
»Nein. Nur bis heute Abend zwanzig Uhr. Dann brauche ich dich wieder.«
»Das ist aber deutlich weniger als eine Woche.«
»Wissen wir. Auch Hakan. Aber nachher laufen die Interviews in den USA an. Du sprichst leidlich Englisch. Also bist du dabei.«

»Und die Woche Sperre?«
»Die legen wir auf deinen nächsten Urlaub.«
»So kann man es natürlich auch machen.«
»Henning, versprich mir eins. Wenn du in Zukunft Dampf ablassen willst, sag mir bitte vorher Bescheid. Hakan ist in der Lage, der würde auch mich direkt mit rauswerfen. Du weißt, wir sind alle innerhalb von zehn Minuten ersetzbar.«
»Okay Monika. Beim nächsten Verbesserungsvorschlag informiere ich dich rechtzeitig. Und, danke für alles. Weiß ich zu schätzen, wie du dich für mich einsetzt.«
»Mein älterer Bruder ist vor drei Jahren an Drogen gestorben. Du erinnerst mich so ein bisschen an ihn. Möchte nicht, dass es auch dich erwischt. Wär irgendwie schade.«

Nie mit nem Kollegen zusammen saufen!

15.18
Ich räumte meinen Spind auf. Wollte mich danach ein paar Stunden unten am Flussufer in die Sonne legen. Jimmi stand auf einmal neben mir.

»Du bist gesperrt worden?«
»Ja und nein.«
»Verstehe ich nicht.«
»Pro Forma für eine Woche. Die kann ich mir aber frei aussuchen.«
»Ach, so machen sie es bei dir. Da hast du aber großes Schwein gehabt. Andere in deiner Lage hat es härter getroffen.«
»Von wem sprichst du?«
»Na beispielsweise von Rudolf, dem Theologen. Kannst du dich an den noch erinnern?«
»Den habe ich seit einigen Wochen nicht mehr gesehen.«
»Weil sie ihn im vergangenen Monat für ein komplettes Jahr suspendiert haben.«
»Weshalb? Was hatte er angestellt?«
»Er hatte Hakan mit einer Geschichte über die Unvereinbarkeit christlicher Prinzipien mit dem Ehrenkodex der Firma auf die Palme gebracht.«
»Das war alles?«

»Naja. Und seine Kennzahlen waren wohl nicht so berauschend.«
»Bei wem von uns sind die das schon?«
»Da sag‘ ste was. Willst du runter an den Fluss?«
»Ja.«
»Ich komme mit.«
»Musst du nicht arbeiten?«
»Ich stempele jetzt aus und gehe zusammen mit dir ein einen Absacker nehmen«
»Du trinkst?«
»Hin und wieder.«
»Lass mal gut sein. Ich will heute Abend noch bis Mitternacht Interviews führen. Da muss ich nüchtern bleiben. Ein anderes Mal gerne.«
»Ja, verstehe ich. Dann bis morgen, Henning.«
»Tschüss, Jimmi.«

Das hatte mir gerade noch gefehlt. Gemeinsam mit einem Arbeitskollegen saufen. Soweit kam es noch. Das tat ich ausschließlich alleine. Ich befühlte von außen den Rucksack: zwei Dosen Bier. Das reichte für den Nachmittag. Danach gegen neunzehn Uhr ein kleiner Wodka. Dann war ich fit für die USA- Gespräche. Ich wollte es heute nicht übertreiben, sondern vorsichtig angehen lassen. Nicht, dass Monika meinetwegen noch Ärger bekam.
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Bild von Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern.

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