Wenn die Gerichtsvollzieherin 3x klingelt (Teil 1)

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Ich wache mal wieder verkatert in Manus Bett auf, es klingelt, und vor der Tür steht eine Gerichtsvollzieherin, die mich auffordert, mir erstmal was anzuziehen, bevor wir übers Geld reden.

PALONG … PALONG …
»Was ist das für ein komisches Gebimmel?«, brummte ich verpennt.
»Weiß nicht. Noch nie gehört«, nuschelte Manu und drehte sich auf die andere Seite.
PALONG … PALONG …
»Da, schon wieder.« Langsam erwachte ich und spürte einen bohrenden Schmerz in meinem Kopf.
»Keine Ahnung. Vielleicht der Wecker vom blöden Nachbarn. Der steht immer in aller Herrgottsfrühe auf und nervt entsetzlich.«
»Im Leben nicht.«
»Könnte eventuell die Klingel sein«, wisperte sie schlaftrunken.
»Du wirst doch die Geräusche in deiner Wohnung kennen?«
»Wozu? Wenn ich bei mir rein will, habe ich einen Schlüssel. Ich drücke nie auf die Klingel.« PALONG … PALONG …
»Du solltest nachschauen, wer dich so dringend sehen möchte.«
»Warum? Ich erwarte niemanden.«
»Und wenn es wichtig ist?«
»Was kann wichtiger sein, als morgens auszuschlafen? Ich bin total erschöpft, nachdem wir die ganze Nacht gevögelt haben.«
»Deine Ruhe ist echt beneidenswert. Könnte man beinahe schon als völliges Desinteresse bezeichnen.«
»Dann geh du doch hin, wenn du so neugierig bist. Und jetzt lass mich in Frieden!«

Jeden Abend aufs Neue: Der Durst stellt sich ein

Missmutig glitt ich vom Bett auf den flauschigen Teppichboden in Manus Schlafzimmer und rieb mir die pochenden Schläfen. Ich hätte am gestrigen Abend weniger trinken sollen. Es war immer dasselbe Spiel, wenn ich sie besuchte. Anfangs nahm ich mir vor, vorsichtig zu sein und brachte einen Sixpack Karlskrone für uns beide mit, den ich vorher beim Discounter bei mir an der Ecke gekauft hatte.

»Bäh, was ist das für eine eklige Plörre. Die kannst du getrost alleine saufen. Diese Brühe willst du mir doch nicht allen Ernstes anbieten?«, fauchte sie und warf wutentbrannt eine Plastikflasche gegen die Küchenwand. »Du hattest am Telefon gesagt, dass du heute Abend clean bleiben möchtest.«
»Am Telefon gesagt … gesagt«, äffte sie mich nach.
»Das ist Stunden her. Nachmittags hatte ich keinen Durst. Jetzt aber schon. Das ist doch nicht so schwer zu begreifen, oder doch?«
»Okay, hab’s verstanden. Dann gehe ich gleich zum Supermarkt und besorge dir eine Flasche Weißwein.«
»Der hat bereits geschlossen. Ich lebe außerhalb der Stadt. Und nicht bequem wie du im Zentrum. Wo du bloß vom Sofa runterzuplumpsen brauchst, um in den Kiosk im Erdgeschoss hineinzufallen. Hier musst du nach achtzehn Uhr laufen. Und zwar bis zur Tankstelle. Bist selbst Schuld. Wärst du halt weniger geizig gewesen und hättest direkt an den Soave gedacht.« Sie schaute mich spöttisch an.

»Schon gut. Dann unternehme ich jetzt einen kleinen Spaziergang.«
»Bummele aber nicht unnötig rum und bring vorsichtshalber zwei Pullen mit. Die Abende mit dir dauern erfahrungsgemäß lang. Da ist es vernünftig, wenn ich genügend Vorrat im Haus habe.«
Da ich Manu gut kannte, packte ich im ESSO-Shop drei Flaschen Frascati und für mich zusätzlich vier
Dosen Holsten ein, legte einen Fünfzig-Euro-Schein auf die Theke, registrierte erstaunt, wie wenig Geld ich zurückerhielt und ärgerte mich über die hohen Preise für Alkoholika auf dem platten Land.
Das muss aber für heute ausreichen, raunte der lästige Mahner mir zu.
Werde mich drum bemühen, beschwichtigte ich ihn.

Kurz vor Mitternacht befand ich mich erneut auf dem Weg zur Tankstelle. Dieses Mal mit ordentlicher Schlagseite, weshalb sich der Marsch in die Länge zog wie ein ausgelutschter Zimtkaugummi. Mit Kindergetränken wie Bier und Wein hielt ich mich gar nicht erst auf, sondern angelte mir stattdessen zwei Moskovskaya aus dem Regal. Zum Eintippen der Geheimzahl meiner EC-Karte fühlte ich mich nicht mehr imstande. Also blätterte ich wiederum einen Schein auf den leicht verklebten Tresen.

»Es reicht nicht«, lächelte der pickelübersäte Kassierer.
»Was??? Wollen Sie mich auf den Arm nehmen? Das sind zwanzig Piepen für zwei Pullen billigen Fusel.«
»Dann müssen Sie halt woanders nachtanken. Die ARAL liegt nur drei Kilometer von hier entfernt. Für Sie sicherlich ein Kinderspiel.« Der Kerl feixte über seine eigene Bemerkung, die er wahrscheinlich als geistreich empfand. Du dummer Bauerntölpel kannst nichts für deine Blödheit, denn die ist dir angeboren, überlegte ich und zählte schweren Herzens acht weitere Euro in seine gierig ausgestreckte Hand.

Die Avon-Verkäuferin entpuppt sich als Gerichtsvollzieherin

Du bist verrückt und willst dich heute Nacht umbringen, ermahnte mich das nervöse Gewissen. Lass mich in Ruhe! Mir stand der Sinn nicht nach einer langweiligen Predigt. Keinen blassen Dunst, wie ich zurück zu Manu gelangt war. Konnte mich schwach daran erinnern, dass ich am Rande eines abgeernteten Feldes eine kurze Rast einlegte und dort den Schnaps testete. Auf jeden Fall schimpfte sie mit mir, weil ich so getrödelt hatte und schwor hoch und heilig, dass sie sich in Zukunft nie mehr mit mir verabreden würde. Sie kenne genügend andere Idioten. Da bräuchte sie sich nicht noch mit einem armen Tropf wie mir rumzuärgern. Kurz darauf setzte mein Erinnerungsvermögen aus. Und nun hatte sie gerade was von ausgiebigem Vögeln gemurmelt. Dazu war es also doch noch gekommen? Was nützte mir jedoch der beste Sex, wenn ich mich am Morgen danach nicht mehr an ihn erinnern konnte?
»Welch ein Elend mit diesem Miststück«, fluchte ich.

»Was meinten Sie?« Vor mir stand eine adrett gekleidete vierzigjährige Frau in kurzem grauen Rock, dunkelblauem Blazer und balancierte auf hohen Pumps. Sorgfältig zurechtgemachte Frisur, professionelles Make-up. Aus dem Bauch heraus tippte ich auf ambulante Kosmetikverkäuferin. Ich taxierte sie mit müden Augen auf einssiebzig und sechsundfünfzig Kilogramm. An und für sich mein Beuteschema, wenn ich mich an diesem Morgen nicht dermaßen zerschlagen gefühlt hätte.
»Meine Verlobte liegt noch im Bett. Sie ist heute nicht ganz auf der Höhe. Wenn Sie freundlicherweise nächste Woche vorbeikommen möchten. Ihren Katalog können Sie natürlich dalassen. Sie meldet sich dann bei Ihnen, sobald sie sich das Passende ausgesucht hat.« Ich nickte ihr aufmunternd zu und war im Begriff, die Tür wieder zu schließen.
»Ich vermute, hier liegt ein Missverständnis vor«, unterbrach sie mich.
»Sie suchen jemand anderen?«
»Nein. Ich befinde mich schon an der richtigen Haustür. Bin auch nicht zum ersten Mal hier.« Die Dame tippte mit dem Finger auf das Namensschild das unter der Schelle angebracht war.
»Was wollen Sie denn von Frau Monschau?«
»Gestatten Sie, dass ich mich kurz vorstelle: Marion Wagenknecht. Gerichtsvollzieherin in diesem Bezirk. Wahrscheinlich ist es sinnvoll, wenn Sie mich kurz herein lassen, damit wir kein unnötiges Aufsehen bei den Nachbarn erregen.« Sie warf mir einen verschwörerischen Blick zu.
»Weiß nicht.« Ich kratzte mich unschlüssig am Ohr.

»Ist es Ihnen lieber, wenn ich in Begleitung der Polizei zurückkehre?«

»Ist es Ihnen vielleicht lieber, wenn ich nachher in Begleitung der Polizei zurückkehre?«
»Schon gut. Sie haben mich überzeugt. Warten Sie bitte einen Moment im Wohnzimmer. Ich schaue nach Frau Monschau. Die ist heute nicht so gut drauf. Hat sich gestern eine eklige Erkältung eingefangen.« Frau Wagenknecht machte es sich auf der roten Ledercouch bequem, nicht ohne vorher einen prüfenden Blick auf das Möbel zu werfen.
Wahrscheinlich befürchtet sie, sich in ein benutztes Kondom zu setzen, ging es mir durch den Kopf, während ich eilig die leeren Dosen und Flaschen mit dem Fuß aus dem Raum kegelte.
»Manu, steh auf! Draußen hockt Frau Wagenknecht und wartet auf dich.« Ich riss die Vorhänge zur Seite und helles Tageslicht durchflutete das Schlafzimmer.
»Wer soll das sein? Noch nie gehört. Wer hat dir übrigens erlaubt, wildfremde Leute in meine Wohnung reinzulassen?«
»Sie arbeitet als Gerichtsvollzieherin in dieser Gegend und sagt, dass ihr euch bereits kennengelernt habt.«
»Die gottverdammte Schlampe? Auf die habe ich Null Bock. Richte ihr aus, dass sie sich zum Teufel scheren soll.«
»Ich hatte bereits angeregt, dass sie ein anderes Mal wiederkommt. Sie meinte daraufhin, das würde sie tun. Allerdings schon heute Nachmittag und in Begleitung der Polizei.«
»Mit den Bullen? Das muss nicht sein. Die waren vorgestern Abend schon hier.«
»Weshalb?«
»Wegen Ruhestörung. Ich hatte die Musik ein bisschen zu laut aufgedreht. Meine Nachbarn sind empfindlich. Morgen werde ich Kopfhörer kaufen.«
»Manu, was geschieht nun mit der Dame auf deinem Sofa?«
Ich rede mit der nervigen Alten und erkläre ihr, dass wir die Unterhaltung auf nächste Woche verschieben. Dafür wird sie sicher Verständnis aufbringen.«
»Es ist deine Gerichtsvollzieherin, nicht meine.«

Manu begleitete mich leicht torkelnd ins Wohnzimmer, drehte einen Stuhl um und grätschte breitbeinig gegenüber von Frau Wagenknecht, während sie die Arme auf der Lehne verschränkte. Die Gerichtsvollzieherin schaute einen kurzen Moment lang irritiert, da Manu in der Eile des Aufstehens vergessen hatte, sich was anzuziehen. Daraufhin räusperte sie sich und kam sofort zur Sache: »Frau Monschau, ich statte Ihnen heute bereits den fünften Besuch ab, werde jedes Mal vertröstet und verliere so langsam die Geduld mit Ihnen.«
»Das kann ich voll und ganz verstehen«, flötete Manu ohne vor Scham zu erröten.
»Wie sieht es also aus: sind Sie willens, eine erste Rate zu zahlen?« Frau Wagenknecht breitete rund ein Dutzend Mahnbescheide und Pfändungsbeschlüsse auf dem Tisch aus.

»Worum handelt es sich?«
»Am meisten drängt Ihre Krankenkasse. Da stehen mittlerweile knapp dreitausend Euro aus.«
»Und wie viel müsste ich davon heute begleichen?«
»Mit fünfhundert wäre ich fürs Erste zufrieden.«
»Das ist höllenmäßig viel Geld für eine miserabel verdienende Frau wie mich.«
»Alternativ können Sie eine eidesstattliche Versicherung ablegen. Dann hätten Sie für drei Jahre Ruhe vor mir, und ich bräuchte hier nicht mehr zu klingeln. In der Zeit ließe sich prima ein Insolvenzplan aufstellen. Damit Sie in Zukunft monatlich geregelte Raten überweisen.«
»Eidesstattliche Versicherung, Insolvenzplan: sind Sie noch bei Trost? Das werde ich nie und nimmer tun.
Eher lasse ich mich einsperren. Eine Krankenversicherung brauche ich ohnehin nicht. Ich fühle mich pudelgesund.«
»Ob sie eine Police benötigen oder nicht, steht hier nicht zur Debatte. Es handelt sich um jahrelange Schulden, für die gerichtliche Mahnbescheide existieren. Also gibt also heute nur die zwei Möglichkeiten der Ratenzahlung oder eben die EV. Es liegt bei Ihnen, wofür Sie sich jetzt entscheiden.«

In Teil 2 werde ich 500 Piepen los und schwöre mir, Manu nie mehr zu besuchen.

Bild von 2427999 auf Pixabay

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern.

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