Reiheneckhaus

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In Ordnung, du kannst mir das Herz zersägen, jedes verdammte Wort soll ich auf die Goldwaage legen,
tue ich nicht … vergiss es …

| Reiheneckhaus
In Ordnung, du kannst mir das Herz zersägen
jedes verdammte Wort soll ich auf die Goldwaage legen
tue ich nicht … vergiss es
ich habe gesoffen, gehurt, gestohlen und betrogen
aber bloß, weil es in den fraglichen Momenten notwendig war
du hast gemütlich auf dem Sofa gesessen
Fernsehen geglotzt, Golf gespielt – obwohl du darin erbärmlich bist
und zu allem und jedem einen Standpunkt gehabt
oh, wie ich diese Meinungen hasste
immer, wenn du mir was erklärtest
wurde es danach nur noch schlimmer mit mir
lieber lasse ich mir die Zunge mit glühender Zange rausreißen
als dir eine einzige Geschichte aus meinem Leben zu erzählen
und bin eingeweidelos immer noch glücklicher
als du in deinem verklinkerten Reiheneckhaus
in der hässlichsten Straße im traurigsten Vorort der Welt

Ich werde auf die Vergangenheit spucken
mich wieder und wieder umbringen
meinen Kopf in einer Bahnhofstoilette runterspülen
krabbele rückwärts auf allen vieren in die Zukunft
entleere den Darm mit Rizinus
feiere die Gegenwart als höchste Daseinsform
und verrate dir, dass Katzenfutter besser als Biofleisch schmeckt
sollte es allzu trostlos sein, werde ich lügen
sobald ich mich wieder fantastisch fühle, sende ich Botschaften in deine Träume

Silberfarbene Mondblumen links und rechts
von Sonneneruptionen verdorrt
ich will leben!
der Hals so biegsam wie der einer Giraffe
mit Schildkrötenfalten übersät
hackt ihn mir ab mit einer Axt
aber bitte sofort beim ersten Schlag
mein Körper, müde von abnehmen, Winterspeck anfressen
Drogenkonsum, entgiften, und wieder aufpäppeln
gestählt von einer Million Klimmzüge
ausgemergelt nach tausend Marathonläufen
verdorben vom ständigen Kamasutra
schreit nach Erholung

Ich will keine Liebe
ätzt mir die Pupillen weg
ich schreie nach Liebe
setzt mir neue Augen ein
ich will dich sehen, hören, fühlen, schmecken
mit dir lachen, Hand in Hand spazierengeh’n
am Nil entlang, den Mount Everest hinauf, die Sahara
durchqueren
für ein Fünfsekunden-Glück überschreibe ich dir mein Vermögen
nicht, weil ich blöde und naiv bin
sondern da ich verstanden habe
dass mir mein Geld im Grab nichts nützt
in den staubigen Ecken der Kindheit
als mich meine Eltern lehrten
Girokonto, Bausparvertrag und Wertpapiere stets hochzuachten
wurde ich fürs Leben verdorben

Mach deine Haut zu meiner
lass uns verschmelzen
bis unser Blut im Gleichklang pocht
und wenn du deinen schönen Kopf
an meine Schulter lehnst
versprech ich dir, dich zu beschützen
befrei mich aus dem Vakuum
erfüll den leeren Raum, der meine Seele heißt
mit Glut und Raserei
wie Wespenschwarm der auf Hornisse trifft
dann – aber nur dann – werde ich
meinen Fuß über die Schwelle deines Reihenhauses setzen

(c) H. H.

Bild von David Mark auf Pixabay

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern.

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