Schweinehälften (2)

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In Teil 2 schleppe ich tote Schweine, befürchte, dass mir gleich die Wirbelsäule entzweibricht und soll am Ende der ersten Nacht schon wieder gekündigt werden.

Als die Schweine nicht mehr zappelten, stachen die beiden mit einem Elektro-Spieß zu. Blut spritzte. Einige Tiere erwachten aus ihrem Dämmer und quiekten jämmerlich. Horst und Vitalij achteten nicht darauf. Mit der Abgebrühtheit gewerbsmäßiger Killer beförderten sie Tier um Tier in den Schweinehimmel. Ich stand mit weit aufgerissenen Augen daneben; denn es ist ein Unterschied, ob man sich solch ein Gemetzel in seiner Fantasie ausmalt oder real mitansieht. Meine Beine wurden schwach. Ich stützte mich an die Wand, um nicht umzufallen. Vitalij sah das und lächelte böse. Um dem Arschloch zu zeigen, dass ich kein Weichei war, richtete ich mich kerzengerade auf und sagte: «Was gibt’s für mich zu tun?»

Mir wird schlecht von all dem Blut

«Mach hinter uns sauber!» Horst drückte mir einen Schlauch in die Hand. Während meine zwei Kollegen die dreißig toten Körper in einen Lastenaufzug hievten, sprühte ich mit einem Hochdruckreiniger hektoliterweise Wasser, das nach Desinfektionsmittel roch, auf das Linoleum. Die dunkelroten Blutlachen lösten sich auf und versickerten in Metallgittern, die in den Boden eingelassen waren, oder flossen seitlich durch Schlitze in den Wänden.

«Scheiße, scheiße», rief ich. «Was tue ich hier?»
«Du gehst erst raus, wenn alles wieder blitzt», antwortete Profitlich, dessen Hereinkommen ich nicht bemerkt hatte. «Und dann schaust du, was du für Horst und Vitalij tun kannst.»
«Okay», sagte ich. Leck mich, dachte ich.

Eine Stunde später stand ich im Erdgeschoss. Horst nahm mich in Empfang.

«Schau uns bloß zu. Sobald’s dir schlecht wird, melde dich. Brauchst dich nicht zu schämen. Jeder hier kotzt am ersten Tag. Du gewöhnst dich aber daran.»
«Danke. Ich werd’s schon überleben. Hab Schlimmeres gesehen.»
«Wo: warst du im Krieg dabei?» Horst ließ mich stehen und widmete sich wieder seinem Job. Der bestand gerade darin, Augen und Ohren zu entfernen.
«Soll ich bloß zusehen, oder gibt’s für mich auch was zu tun?»
«Ist alles ein bisschen viel für dich heute?»
«Mir ginge es deutlich besser, wenn ich mit anpacken könnte.»
«Hast Recht … genug geglotzt für den ersten Tag. Geh nach hinten und melde dich bei Vitalij. Dem kannst du beim Schleppen helfen.»

Während Horst mit mir sprach, packte er in den Körper eines besonders fetten Exemplars hinein und fingerte die Reste des Darms heraus. Mein Abendessen, das viele Stunden zurücklag, stieg bedrohlich bis in die Nähe des Kehlkopfs hinauf.
«Jede Wette, dass du ein paar Tage lang auf Schnitzel und Wurst verzichtest.» Horst lachte, klopfte mit der blutigen Linken auf meine Schulter und schickte mich zu Kumpel Vitalij.

Schweineschleppen ist ein schweißtreibender Job

Vitalij und einige mir unbekannte Typen, die wohl ebenfalls auf Karl-Heinz Gehaltsrolle standen, hatten die dreißig Schweine in der Zwischenzeit mit Sägen in Einzelteile zerlegt. Zumeist in Hälften; manchmal – vermutlich auf Spezialbestellung – direkt in Keulen und Schnitzel.

«Hey Kleiner, mach dich nützlich!»
«Dafür bin ich hier.»

Vitalij schnappte sich mit einer Leichtigkeit, als ob er mit zwei Pfund Orangen jonglieren würde, ein halbiertes Schwein und legte es mir auf die Schulter.

«Häng es an den Karabinerhaken!»

Meine Wirbelsäule knackste; würde sicher gleich auseinandersplittern. Ich ging ein paar Zentimeter in die Knie und stöhnte leise.

«Stell dich nicht so an. Der Boss hat erzählt, du trainierst mit Gewichten. Machst auf Schwarzenegger. Dann ist das für dich doch bloß ein Aufwärmprogramm … oder sollen wir dir helfen, damit du nicht zusammenklappst?»
«Ich schaffe es schon, Arschloch», sagte ich.

Die zwanzig Meter bis zum Haken schaffte ich. Das zentnerschwere Teil in die Höhe zu hieven, war jedoch zu viel für mich. Beim Versuch kreisten plötzlich transparente Sterne vor meinen Augen, und ich fühlte Schwindel.

«Ich zeige es dir.» Zwei Pranken, zwischen denen man einen Ford Capri wie in einer Schrottpresse glattbügeln konnte, griffen von der Seite zu und wuchteten das halbe Schwein mühelos nach oben.
«Danke», flüsterte ich. «Hast was gut bei mir.»
«Vergiss es nicht. Ich heiße Martin.»
«Henning.»
«Seltener Name.»
«Meine Eltern waren betrunken, als sie sich den für mich ausgedacht haben.»
«Ach so. Verlier deinen Humor nicht, Kleiner.»

Nach der ersten Schicht soll ich schon wieder gekündigt werden

Vitalij lächelte böse, als ich zur Schlachtbank zurückkehrte. «Bist doch nicht so stark, wie du angekündigt wurdest.»
«Leck mich.»

Schweigend warf er das nächste Trumm auf meinen Rücken. Dieses Mal ein besonders blutiges Teil. Obwohl es nur wenige Meter waren, die ich zurücklegen musste, schmerzte jeder einzelne Schritt höllisch. Am liebsten hätte ich den Fleischberg auf den Boden geschmissen, mir die schweißnassen Klamotten vom Körper gestreift und wäre ohne Bezahlung nach Hause gegangen. Aber diese Schmach wollte ich mir nicht antun. Ich würde durchhalten. Und wenn ich danach mein Leben lang im Rollstuhl säße. Am Haken wartete Martin auf mich.

«Profitlich hat Anweisung gegeben, dich am ersten Tag nicht allzu hart ranzunehmen. Hast Pech, dass Vitalij heute das Kommando führt.»
«Übler Menschenschinder.»
«Ja; nützt aber nichts, darüber zu jammern. Das Schwein muss nach oben.»

Mit Unterstützung meines neuen Freundes schaffte ich zehn Schweinehälften. Mehr war nicht drin. Bei Nummer elf wäre ich zusammengebrochen und alleine nicht mehr auf die Füße gekommen. Das spürte ich. Die Uhr zeigte kurz vor fünf.

«Hast dich wacker geschlagen», sagte Martin, «Lass uns draußen noch eine rauchen.»
«Werde dem Boss raten, dich nicht weiter zu beschäftigen.» Vitalij tat empört, obwohl ich als Youngster gute Arbeit abgeliefert hatte.
«Tu, was du willst. Ich möchte jetzt bloß noch nach Hause und heiß baden. Alles andere ist mir egal.»
—–

Hier geht’s morgen zur Fortsetzung.
Und hier zurück zu Teil 1.

Bild von LillyCantabile auf Pixabay

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern.

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