Schweinehälften (3)

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In Teil 3 verpetzt mich Profitlich bei meinen Eltern, die sind stinksauer, verbieten mir kategorisch, nochmal einen Fuß in den Schlachthof zu setzen und bieten als Ersatz-Erwerbsquelle einen Nachhilfejob bei der Nachbarstochter an. Die ist dumm und zudem hässlich, weshalb ich darauf Null Bock habe.

Die Nacht war vorüber. Im Osten hinter dem Dom stieg bereits die Sonne empor. Wir standen in blutverklebten Kitteln auf dem Parkplatz neben dem Schlachthof. Martin bot mir eine Marlboro an. Ich nahm ein paar Züge.

Profitlich lügt mir frech ins Gesicht

«Du paffst ja», bemerkte er.
«Wenn ich auf Lunge rauche, muss ich husten.»
«Du Amateur», lachte er.
«Und jetzt?», fragte ich.
«Verabschieden wir uns vom Boss.»
Gemeinsam gingen wir in Profitlichs kleines Büro im Erdgeschoss. Der brütete über Zahlenkolonnen.

«Wie lief es?», erkundigte er sich, ohne uns anzusehen.
«Alles bestens, Karl-Heinz», antwortete ich.
«Tatsächlich? Da hat mir Vitalij eben was anderes berichtet. Du wärst weniger kräftig, als wir angenommen hatten, und du gibst Widerworte. Beides nicht so gut … und tu mir einen Gefallen: nenn mich hier nicht Karl-Heinz. Entweder Boss, wie es die anderen Kollegen tun oder Herr Profitlich. Verstanden?»
«Ja.»
«Dann hätten wir das geklärt. Für heute ist Schluss. Ihr könnt gehen.»

«Hm … »
«Was gibt’s noch?»
«Wie ist es mit dem Geld?»
«Wird einmal wöchentlich ausbezahlt. Aber nicht heute.»
«Fünf Stunden macht einen Hunderter.»
«Bist du wieder pleite, Henning?»
«Noch nicht ganz.»
«Musst du mit dem Zocken aufhören.»
«Danke für den Tipp, Boss.»
«Morgen und übermorgen haben wir für dich hier nichts zu tun. Vielleicht in der Nacht von Sonntag auf Montag. Ruf Vitalij an. Der teilt deine Schichten ein.»
«Vitalij??»
«Ja! Hörst du schlecht, oder hast du ein Problem damit?»
«Alles in Ordnung, Herr Profitlich.»

Ausgepowert und abgebrannt

«Da hast du in die Scheiße gepackt», sagte Martin, als wir im hellen Morgenlicht auf der Liebigstraße standen. «Vitalij ist ein Dreckskerl. Dem macht es Spaß, andere so lange zu quälen, bis sie ihn anbetteln, damit aufzuhören. Da kommen üble Wochen auf dich zu.»
«Kann ich mir lebhaft vorstellen bei dem Arschloch.»
«Du sagst oft Arschloch. Also verdammt oft für einen verwöhnten Sohn von reichen Eltern.»
«Wer erzählt, dass wir reich sind?»
«Vitalij. Und der hat’s vom Boss.»
«Glaub nicht alles, was rumgequatscht wird. Ich bin bettelarm.»
«Weil du Backgammon spielst … schau nicht so erstaunt. Weiß ich ebenfalls von Vitalij.«
«Dann seid ihr ja alle bestens informiert über mich.»
«Ich muss jetzt heim. Meine Frau wartet mit dem Frühstück. Danach haue ich mich aufs Ohr, und sie geht putzen. Krankenhaus Merheim. Ist so eine Psychoklinik.»
«Ciao … schön, dich kennengelernt zu haben. Wir sehen uns dann Sonntagnacht.»
«Scheißtermin. Versaut das halbe Wochenende.»
«Ja!»

Martin verschwand Richtung Linie 5, und ich spazierte den Radweg oberhalb der Autobahn entlang. Vogelgezwitscher im Blücherpark mischte sich mit dem Knattern von LKW-Motoren. Die Temperatur lag bereits am frühen Morgen bei knapp zwanzig Grad. Ich fühlte mich total zerschlagen, wollte bloß noch duschen und mich dann ins Bett legen. Heute Abend war ich für ein kleines Backgammon-Turnier verabredet. Da musste ich fit sein.

Meine Eltern passen mich an der Haustür ab

Gegen halb sechs schloss ich die Haustür auf und wollte leise in mein Zimmer schleichen.

«Wo warst du?», hörte ich die Stimme meines Vaters.
«Du bist schon wach??» Beide Eltern standen frontal vor mir im Flur. Keine Chance, an ihnen vorbeizukommen.
«Wo warst du?»
«Unterwegs.»
«Wo genau?»
«Hier und da. Halt unterwegs … ist das wichtig?»
«Lüg uns nicht an!»
«Weshalb sollte ich euch anlügen?»
«Du warst im Schlachthof.»
«War ich nicht … wie kommt ihr darauf?»
«Der Nachbar hat’s uns gesagt.»
«Er hat was??»
«Herr Profitlich hat vor zehn Minuten angerufen.» Das war also, nachdem wir uns für Sonntagnacht verabredet hatten.

«So ein Arschloch.»
«Solche Worte nicht in meinem Haus! … wie kommst du dazu, im Schlachthof zu jobben? Ich hatte es dir verboten.»
«Weil ich da gute Kohle verdiene. Das bisschen Taschengeld reicht ja kaum von Montag bis Mittwoch.»
«Du bist maßlos geworden.»
«Herr Profitlich meint, dass es besser ist, wenn du dir was anderes suchst. Die Arbeit im Schlachthof ist zu schwer und blutig. Dem bist du nicht gewachsen.»
«Bin ich doch!» Ich trommelte mit der Faust gegen die Tapete.

Mein Lebenswandel ist nicht unbedingt billig

«Keine Widerrede! Du wirst den Schlachthof nie mehr betreten. Sonst fliegst du hier raus.»
«Und wer bezahlt mir den Verdienstausfall?»
«Die Tochter von Müllers benötigt Nachhilfe in Mathe und Englisch.»
«Die ist so blöde. Das ist eine Strafe für jeden Nachhilfelehrer.»
«Lern einfach, mit deinem Geld auszukommen … weshalb bist du überhaupt jede Nacht unterwegs? Kann doch nicht jeden Tag Partys geben?»
«Okay, okay … ich bin müde und lege mich hin. Frühstück nicht vor 16 Uhr.»
«Du bist seit dem Abitur völlig verlottert. Wird Zeit, dass du eine geregelte Arbeit findest.»
«Gute Nacht.»

Ich ging nach oben in mein Zimmer und zog die Tür hinter mir zu. Meine Alten waren vom Grundsatz her nicht übel. Aber immerzu besorgt. Was tust du jede Nacht draußen? Ist dir klar, dass Köln eine gefährliche Stadt ist? Weshalb schläfst du so lange? Wieso brauchst du ständig Geld? Minütlich fragten sie mich was. Ich hatte schon überlegt, die Antworten auf Zettel zu schreiben und ihnen wortlos zu überreichen. Neben einem Bücherstapel lag die neue LP von Billy Idol, die legte ich auf.

«Muss das so laut sein?», hörte ich von unten.

Ich schloss den Kopfhörer an und drehte die Musik bis zum Anschlag.

Die Vorteile des Beamtenlebens meiner Eltern – gutes Gehalt, Kohle wird pünktlich zum Monatsende überwiesen, zwei Urlaube im Jahr, Chefarztbehandlung auch bei Schnupfen – empfand ich als gähnend langweilig. Seitdem mich eine Klassenkameradin vor zwei Jahren zum ersten Mal ins Le Bateaux und Coconut mitgenommen hatte, wurde ich schnell vom Fieber der Nacht infiziert. Auf den Ringen pulsierte das Leben. Daran wollte ich teilhaben. Mit großen Augen beobachtete ich, wie die coolen Jungs im La Strada Backgammon zockten. Bündel Scheine, die mit goldenen Spangen zusammengehalten wurden, wechselten die Besitzer. Das war jeden Abend mehr Geld, als es mein Vater in einem Jahr verdiente. Die Aussicht auf schnellen Gewinn elektrisierte mich. Ich setzte mich stumm daneben, sah den erfahrenen Zockern zu, merkte mir Züge und Würfelkombinationen. Kaufte mir ein Lehrbuch, um die Wahrscheinlichkeiten besser einschätzen zu können. Spielte mit Kumpels ohne den Dopplerwürfel, um meine Fortschritte zu testen. Nach acht Wochen fühlte ich mich bereit, am Profitisch Platz zu nehmen. Ich verlor dreihundert Mark an diesem Abend. Das entsprach dem Taschengeld eines Quartals. Und ich musste in den kommenden Monaten noch viel mehr Lehrgeld bezahlen, bis ich endlich zum ersten Mal als Matchwinner das Lokal verließ. «Du hast Potenzial, Kleiner», sagte der dürre Hein und adelte mich damit. Die kleinen Gewinne wurden jedoch durch häufige Verluste aufgezehrt, sodass ich chronisch pleite und gezwungen war, mir Kohle mit Jobs wie Nachhilfe, Rasenmähen und Autowaschen hinzuzuverdienen. In der Schule schlief ich deshalb häufig ein.
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Hier geht’s morgen zu Teil 4.
Und hier zurück zu Teil 1.

Bild von Mote Oo Education auf Pixabay

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern.

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