Tagebuch 23. November

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Was ist mit deinen Mandelaugen, deren Haselnusston mich einst betörte, passiert? Den Lippen, die ich wundgebissen habe?

Tagebuch 23. November

An nebligen Novembertagen
wie diesem
blicke ich gerne bis aufs Ende
z.B. meinen 75-sten Geburtstag
und sehe mich zu dir zurückkehren
ich:
verknautschtes Gesicht
Haare schlohweiß, Gebiss Coke-zero-verfärbt
der Zahnarzt sagt
Bleaching in Ihrem Alter sieht obszön aus
wie ein müder Groschenromanautor
in einem durchgerosteten Volvo-Kombi

du:
was ist mit deinen Mandelaugen
deren Haselnusston mich einst betörte
passiert?
den Lippen, die ich
wundgebissen habe?
der Stimme, deren „R“
ich nicht widerstehen konnte?
seh deinen glattgebügelten Hals
die dürren Beine
den Bauch hast du links und rechts
um die Hüften geklappt
dort wo einst schöne Brauen thronten
jetzt bloß noch fette Pinselstriche
du lächelst aus frisch operiertem Mund

ich wende das Auto
fahre ohne bestimmtes Ziel
gen Süden
dort wo Palmen im Sonnenlicht glänzen
ich an einem einsamen Strand
meinen klaren Verstand wiederfinde
von nun an
die letzten Lebensjahre
zwischen Facebook-Posts und Digital-Erotik verbringe
ohne mich zu erschrecken
vor den früher überbordenden Gefühlen

Bild von stux auf Pixabay

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern.

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