Schweinehälften (4)

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Ich bin völlig blank, weiß nicht, wie ich das Startgeld für ein Backgammon-Turnier zusammenbekommen soll, da bietet mir Profitlich nen neuen Job an.

Und nun hatten das Arschloch Profitlich und mein Vater verabredet, mich von der lukrativen Erwerbsquelle Schlachthof fernzuhalten. Mein Vater verfügte über einen starken Widerwillen gegen Blut und rohes Fleisch. Aß kein Mett, ekelte sich vor Tartar und englischem Steak. Machte um Metzgereien und Fleischtheken einen großen Bogen. Hatte im Krieg zu viele Tote und Verletzte gesehen. Er war zwar kein Vegetarier; wollte aber nicht wissen, wie halbe Hähnchen und Wiener Würstchen produziert wurden. Ein Job im Schlachthof stand für meine Eltern auf derselben Stufe wie Leichenwaschen,  Totengräber und Zuhälterei.

Ich bin mal wieder völlig blank

Von daher konnte ich ihren Widerwillen gegen diese Form des Gelderwerbs nachvollziehen. Welcher Teufel hatte aber Profitlich geritten, mich direkt im Anschluss an meine erste Schicht zu verraten? Und mir – was ich noch niederträchtiger fand – nicht direkt ins Gesicht zu sagen, dass er mich für den Job als untauglich einstufte? Ich würde ihn morgen fragen. Eigentlich hatte ich vorgehabt, ihn fortan wie Luft zu behandeln. Durch ihn hindurchzusehen, wenn wir uns auf der Straße begegneten. Das wäre allerdings dumm gewesen, denn er schuldete mir noch hundert Mark. Kohle, die ich dringend benötigte, um den Rest des Monats über die Runden zu kommen.

Im Bett wälzte ich mich hin und her. Vergeblich; es gelang mir nicht, zur Ruhe zu kommen. Tausend Gedanken wirbelten durch meinen Kopf. Ich musste jedoch pennen; andernfalls wäre ich am Abend nicht fit genug für ein kleines Backgammon-Turnier, das im Hinterzimmer einer türkischen Kneipe angekündigt war. Ich stand auf, räumte die zehnbändige Enzyklopädie „Geschichte der europäischen Kultur“ – ein Weihnachtsgeschenk meiner Großeltern – zur Seite, griff nach einer dahinter versteckten Flasche Bourbon, schüttete ein Wasserglas voll, leerte es in zwei Zügen und fiel ein paar Minuten später in einen tiefen Schlaf.

Drei Tage darauf begegnete ich dem Nachbarn am Zaun, der seinen von unserem Garten trennte. Karl-Heinz lehnte im kurzärmligen Hawaiihemd an einem Birnbaum und beobachtete mich dabei, wie ich Liegestützte machte.

«Hast echt schon Muskelmasse aufgebaut», begrüßte er mich. «Sahst vor einem Jahr noch viel mickriger aus. Nimmst du irgendwas?»
«Was sollte das am Freitag mit meinen Eltern?»
«Du willst wissen: warum ich sie informiert habe?»
«Genau.»
«Glaub mir Kleiner, das war besser für dich.»
«Sie meinen: besser für Sie?» In meinem Zorn hatte ich vergessen, dass ich mit Profitlich ja schon auf Du war.
«Lass uns sagen: vernünftig für uns beide.»
«Verstehe ich nicht.»
«Ich will keinen Ärger mit deinen Eltern haben. Die sind die einzigen in der Straße, die mich wie einen Menschen behandeln.»

Das stimmte. Profitlich war ein Exot in unserer von mittlerem Bildungsbürgertum beherrschten Straße. Je stärker er mit Sportwagen und teuren Armbanduhren protzte, desto mehr entfremdete er sich von seiner Umgebung. Sobald die Altphilologen, Musikpädagogen und Oberstudienräte ihn vor der Haustür erblickten, grüßten sie freundlich, vermieden es jedoch, sich von ihm in eine längere Unterhaltung verwickeln zu lassen und hasteten schnell weiter. Es war, als ob sie unsichtbares Schweineblut an seinen Händen kleben sahen. Mutter sagte manchmal: »Herr Profitlich ist ein Neureicher«. Und so wie sie »neureich« betonte, verhieß das Wort nichts Gutes. Ich wiederum wünschte mir hin und wieder ein neureiches Leben, da mich meine Eltern in Punkto Taschengeld recht knapp hielten.

Profitlich bietet mir nen neuen Job an

«Und das ist Ihnen erst eingefallen, nachdem wir uns um fünf Uhr verabschiedet hatten. Sie hätten’s mir doch direkt sagen können.»
«Ja und nein.»
«Wie nein?»
«Ich wollte dich nicht kränken.»
«Das war alles?»
«Und Vitalij meinte, dass es schwierig wird, aus dir einen Arbeiter zu machen. Du stellst zu viele Fragen, machst die anderen damit aufsässig. Es wäre klüger, sich solch eine Laus nicht unnötigerweise in den Pelz zu setzen.»
«Und dann haben Sie sich für die bequeme Möglichkeit entschieden, mich bei meinem Vater anzuschwärzen.»
«Sieh es positiv: der Job ist hart und blutig. Nix für einen Jungen wie dich. Zu dir passt eher Nachhilfe.»
«Was ist mit den hundert Mark?«
«Die schulde ich dir?»
«Ja.»
«Brauchst du das Geld jetzt?»
«Ja.»
«Warte einen Moment. Ich schaue, wo mein Portemonnaie liegt.»

Profitlich ging zurück ins Haus, ließ mich eine Minute warten und kehrte mit zwei Fünfzigern zurück.

«Damit sind wir quitt.»
«Danke.» Ich wandte mich zur Seite, um mich wieder den Liegestützen zu widmen, da packte mich der Nachbar am Oberarm.
«Hast du morgen Abend schon was vor?»
«Warum?»
«Beantworte meine Fragen nicht ständig mit Gegenfragen. Ja oder nein?»
«Bisher nein.»
«Dann sei gegen acht Uhr bei mir. Ich stelle dir eine Bekannte vor.»
«Und dann?»
«Lass dich überraschen. Wirst es nicht bereuen.»
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Bild von dkrstin auf Pixabay

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern.

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