Als ich klein war, hatte ich viele Väter, es waren coole Väter, und ich mochte sie lieber als meinen eigenen Vater, der immer hinter Büchern saß.
Tagebuch, Mittwoch 18. November
Ich komme gerade vom Friedhof zurück, wo ich anlässlich des Hochzeitstags meiner Eltern ein paar Blumen hingebracht habe und am Grab in Gedanken oft in meine Kindheit zurückreise:
Als ich klein war hatte ich
viele Väter
es waren coole Väter
und ich mochte sie
lieber als meinen eigenen Vater
der immer hinter Büchern saß
diese anderen Väter borgte ich, stahl ich sammelte sie
sie waren jung und modisch
nahmen mich mit zum Fußball
als ich älter wurde so ungefähr 18
brauchte ich sie alle nicht mehr
jetzt sah ich meinen Vater aus einem neuen Blickwinkel
ahnte mehr als ich begriff wie sehr Krieg
und die Jahre danach
ihn geprägt hatten
in seiner Kindheit Strenge und Gehorsam die Welt bedeuteten
Bombenhagel, Schützengräben zerplatzte Träume
unterdrückte Schuldgefühle
wie soll so jemand plötzlich
lieben können?
schweigend vereinbarten wir von nun an
Small Talk zu betreiben
heute an seinem Grab wünsche ich manchmal
wir hätten mehr gestritten
als aneinander vorbeizureden.
Bild von Lubos Houska auf Pixabay