Tagebuch 26. November

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Lang machst du es nicht mehr, sagte der Totenkopf, spie Blut, rollte über den Schreibtisch und fiel auf den Boden.

Tagebuch, 26. November

Lang machst du es nicht mehr
sagte der Totenkopf
spie Blut
rollte über den Schreibtisch
fiel auf den Boden
wo er wiederholte:
lang machst du es nicht mehr

während ich noch versuchte
die Sauerei von Hose und Schuhen
zu entfernen
erkannte ich, dass der Totenkopf
mein eigener war

erschrocken sprang ich
ins Bücherregal
um mich zu verstecken und in Ruhe
nachzudenken
was das alles zu bedeuten hat

dort entdeckte mich ein
kleiner Mann
der unbemerkt in meine Wohnung
eingetreten war
zog mich heraus
blätterte in mir
sagte: das wird ihr bestimmt gefallen
schlug den Deckel krachend zu
so dass mein Kiefer schmerzte
und der Totenkopf auf dem Boden
beobachtete all das und wiederholte:
lang machst du es nicht mehr

der kleine Mann nahm mich mit
stieg langsam die Treppe hinunter
wobei er leicht außer Atem geriet
ging zum Parkplatz
überreichte mich einer dicken Frau
die auf dem Beifahrersitz
eines alten VW-Passat-Kombi saß
rief: hier hast du was Leichtes zu lesen
damit du endlich Ruhe gibst!
sie glotzte mich an
unschlüssig, was sie mit mir anfangen sollte
der Totenkopf wiederholte mit stupider Monotonie:
lang machst du es nicht mehr

die gesamte Zeit, in der sie mich
mit verschwitzten Fingern berührte
spürte ich Widerwillen, der sich
je weiter sie in mich eindrang
allmählich bis zum Ekel steigerte
als sie dann schließlich sagte:
schau mal, wie lustig der komische Typ
mit dem Totenkopfgesicht aussieht
und beide herzhaft lachten
ja, sich vor Lachen geradezu schüttelten
hasste ich die Zwei aus vollem Herzen

an einer Kreuzung
warfen sie mich achtlos
aus dem runtergekurbelten Fenster
weshalb es jetzt an
diesem vollgepissten Rinnstein
wo bereits die Ratten an mir nagen
tatsächlich mit mir zu Ende geht
wenn es mir nicht bald gelingt
aus dem Scheißtraum
aufzuwachen

Bild von Comfreak auf Pixabay

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern.

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